_ nn —
Die Frage einer Verfassungsänderung läßt man, fast muß man
annehmen mit Absicht, nicht hereinspielen. Würden doch manche
alte Privatrechtsjuristen von vornherein den Gedanken von sich
weisen, daß der stete Gang, die gewissermaßen eigenen Natur-
gesetzen folgende Entwicklung, des Privatrechts durch zufällige
Erscheinungen im Öffentlichen Rechte eines Staates beeinflußt
werden könnten®®! Der Satz von der lex posterior gilt für die
Geltung. Das kritiklose, wie selbstverständliche Operieren mit den vor-
konstitutionellen Gesetzen ist an sich der sprechendste Beweis dafür, daß
man unter dem Begriff‘ des Staates, auf welchen der Satz von der lex
posterior Anwendung finde, an die ganze historisch-politische Gegebenheit
denkt. Das zitierte Werk hat berühmte Vorbilder: So UnGER, System I,
S. 101—108; PrArr-HorrMAnn (Kommentar zum Österreichischen allge-
meinen bürgerlichen Gesetzbuch), wo Bd. I, S. 214—220 ziemlich ausführ-
lich, und wie man zugeben muß, sachlich-kritisch das Problem behandelt
wird; STUBENREICH, Kommentar, Wien 1902, tut das Problem mit der
charakteristischen Wendung ab: „Da die verbindende Kraft der Gesetze
auf dem Willen des Gesetzgebers beruht, so kann sie ihnen auch nur durch
dessen Willen wieder entzogen werden“ (], S.43). Ob sie ihnen aber etwa
vielleicht auch im Gesetzeswege nicht entzogen werden kann und in wel-
chen Fällen etwa nicht, dies wird gar nicht gefragt. „Können beide Ge-
setze nebeneinander bestehen, (was eben bereits in dem Falle angenommen
wird, daß sie sich materiell nicht widersprechen), so müssen sie auch beide
zugleich beobachtet werden; unvereinbar wird aber eine solche Beobach-
tung nur dann sein, wenn das neue Gesetz den nämlichen Gegenstand be-
trifit“ (a. a. O. S. 43).
25 In aller Kürze ein paar Belege aus der publizistischen Literatur
Oesterreichs! Prinzipiell sei dazu nur vorbemerkt, daß unser Problem zwar
kein innerstaatlich-positivrechtliches, sondern ein solches der internationalen
allgemeinen Rechtslehre ist. Nur daraus, daß es gerade durch die bewegte
Verfassungsgeschichte Oesterreichs besonders aktuell gemacht wurde, wäre
zu erschließen, daß wir es mit einem Steckenpferde der österreichischen
Jurisprudenz zu tun haben würden. Wir können nicht verhehlen, daß es
auch hier nicht die seiner Wichtigkeit gebührende Beachtung gefunden hat.
Nur zwei Belegstellen: LusTKAnDL (Oesterreichisches Staatswörterbuch,
I. Aufl., II. Bd. S.401) führt als „Aufhebungsgrund“ ein neues Gesetz an,
„welches ein bisheriges* Gesetz ausdrücklich ganz oder teilweise aufhebt.
„Jedes Gesetz“, so fährt er S. 402 fort, „soll (?) nur durch eine rechtlich
genügend wirkende Ursache aufgehoben werden können, und wenn das
Gesetz nicht aus einem schon in ihm selbst liegenden Grunde zu wirken