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Privatrechtsjurisprudenz trotz dem öffentlichen Recht, ja überhaupt
trotz allem gesetzten Recht, weil er der herrschenden Lehre als
logisches Prinzip erscheint! Mit seiner Hilfe stellt sie unabhängig
vom positiven Rechte aus diesem eine widerspruchslose Einheit
her, welche sich über das ganze historisch-politische Staatsindivi-
duum ausbreitet.
IV. Die Rechtseinheit als Erkenntnisgrund des
Satzes von der lex posterior.
Daß KELSEN, welcherin dieser Zeitschrift 2 zu der Lehre von
der lex posterior eingehend Stellung genommen hat, in bezug auf
den Staatsbegriff, auf den allein die Lehre von der lex posterior An-
wendung finden kann, — es ist dies selbstverständlich nur der
Staat im BRechtssinne —, geirrt, oder daß er den Staat im historisch-
politischen Sinn mit dem im juristischen methoden-vermengend
gleichgesetzt haben würde, kann bei seinem gerade die Grenzen
zwischen Juristischem und Unjuristischem aufsuchenden und auf-
findenden Blick, bei seiner gerade in der Methodik Triumphe der
Konsequenz feiernden Lehre als ausgeschlossen angesehen werden.
Gerade seine Rechtslehre zwingt den für eine Rechtsordnung, aber
auch immer nur für jeweils eine, geltenden Satz, daß das spätere
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aufhört, so kann es nur durch ein neues rechtskräftig berufenes Gesetz ab-
geändert oder aufgehoben werden. Dies führt zu dem verfassungsrechtlich
wichtigen Grundsatz der Rechtskontinuität, welcher mit dem Begriff der
formellen Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zusammenfällt.“ In Wirklich-
keit schafft der Satz von der lex posterior, wie er immer verstanden wird,
indem er sich lediglich auf die Tatsache einer zeitlichen Aufeinanderfolge
stützt, bloß eine Scheinkontinuität. Wie umfassend (d. h. im Grunde mit
der historisch-politischen Kontinuität zusammenfallend) die Rechtskonti-
nuität gedacht wird, offenbart ULBRIicH (Das österreichische Staatsrecht,
Tübingen 1909, S. 236), wenn er, „da das geltende Verfassungsrecht den
Begriff des Gesetzes nicht feststellt‘, auf „das mit dem Patente vom 1. XI.
1786 kundgemachte Josefinische bürgerliche Gesetzbuch zurückgreifen zu
müssen“ glaubt.
26 Archiv des öffentlichen Rechts, 32. Bd., Heft 1/2 „Reichsgesetz und
Landesgesetz nach österreichischer Verfassung*.