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als gänzlich unbeabsichtigt ausnimmt. So ist es einem Zufall zu
verdanken, daß Verfassungen lebensfähig, lebenskräftig konstituiert
sind — denn das dürfte nicht bezweifelt werden, daß die Ab-
änderungsfähigkeit der Gesetze, insbesondere der Verfassungsge-
setze, (das bedeutet nichts anderes als ihre Anpassungsfähigkeit
an den Fortgang der Zeit in ihrem materiellen Gehalte) zu einer
lebensfähigen und lebenskräftigen Konstitution gehört. Die öster-
reichische Verfassung, die, wie sie uns in diesem Zusammenhange
überhaupt vorwiegend interessiert, auch für das Letztausgeführte
bezeichnend ist, spricht den Rechtsgrundsatz der Abänderbarkeit
von Gesetzen nur auf dem Wege aus, (wie man sieht, ist es ein
Umweg), daß sie zur Abänderung der Staatsgrundgesetze im
Staatsgrundgesetz über die gesetzgebende Gewalt ($ 15) eine quali-
fizierte Majorıtät erfordert. Man kann wohl annehmen, daß die
Verfassung, wenn sie eine qualifizierte Majorität für erforderlich
zu erklären sich nicht veranlaßt gesehen hätte, auch kein Wort
über die Abänderungsmöglichkeit hätte fallen lassen. Man ver-
mißt ja tatsächlich die ausdrückliche Erklärung der Abänderungs-
möglichkeit einfacher Gesetze, doch ergibt sich diese wohl auf
interpretativem Wege vermittels des argumentum a maiori ad
minus: können Verfassungsgesetze mit einer Zweidrittelmajorität
in beiden Häusern des Reichsrates abgeändert werden, dann sind
wohl auch einfache Gesetze abänderbar, und zwar, wie der Be-
schluß über alle einfachen Gesetzgebungsakte, mit bloßer Stimmen-
mehrheit.
Würde der österreichischen Verfassung eine derartige Bestim-
mung fehlen, dann könnten tatsächlich alle seither vorgenommenen
Verfassungsänderungen ?? — es sei nur auf die mehrfachen seither
erfolgten Wahlreformen verwiesen — von dem (vorwiegend ein-
genommenen) Standpunkt der Dezemberverfassung des Jahres 1867
aus nicht als verfassungsmäßig erkannt werden, dann müßte
ieder Versuch einer Abänderung der Verfassung einen Verfassungs-
s3 Von der laufenden Gesetzgebung ganz abgesehen.