Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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nissen voll zu genügen.“ Die Verfassung bildet die Grundlage 
für die gesetzgeberische Thätigkeit; und diese muss allerdings 
den Anforderungen des praktischen Lebens voll und ganz Rech- 
nung zu tragen sich bemühen, Altes verwerfen, wenn es sich 
nicht mehr dem ewig frisch pulsirenden Leben des Volkes an- 
passt, und Neues schaffen, wenn sich Zustände ergeben, die einer 
früheren Zeit fern gelegen haben; aber niemand darf glauben, 
dass es gestattet sei, für die Verfassung heute diese und morgen 
jene Auslegung zu belieben. „Ist der Staatsmann,“ meint v. Housr 
(ebenda), „verpflichtet, bei der Anwendung des Staatsgrundgesetzes 
gewissenhafter Jurist zu sein, so muss der Jurist auch bei seiner 
Darstellung und Prüfung stets die Gesichtspunkte des Staats- 
mannes im Auge behalten.“ Der erste Theil dieses Satzes dürfte 
mannigfachen Bedenken begegnen; es liesse sich darüber vom 
Standpunkte der politischen Moral aus gar Vieles sagen; jeden- 
falls kommt hier nur der zweite Theil in Betracht; die Folgerungen, 
welche sich daraus ergeben, sind sehr bedenklicher Art und am 
besten zu erkennen gerade aus der Verfassungsgeschichte Amerikas. 
Hier haben sich die meisten Juristen befleissigt, bei ihrer Dar- 
stellung und Prüfung der Konstitution „die Gesichtspunkte des 
Staatsmannes im Auge zu behalten“, und sind demgemäss dazu 
gelangt, das Verfassungsrecht ausschliesslich in das Interesse 
ihrer politischen Partei zu stellen; mit jener Theorie muss man 
nothwendigerweise in einen Fehler verfallen, vor dem niemand 
eingehender und besser gewarnt hat, als Lasanp in dem Vor- 
worte zu Band I dieses Archives: „So sehr der einsichtsvolle 
Jurist die hohe Bedeutung, die Grösse des Einflusses zu ermessen 
weiss, welche Nationalökonomie und Wirthschaftspolitik, Finanz- 
wissenschaft und Statistik auf die Ausbildung der Begriffe und 
Einrichtungen des öffentlichen Rechtes zu nehmen berufen sind, 
so kann derselbe doch auch nicht darauf verzichten, dass das 
feste Rechtsgebilde einmal aus dem Flusse des Werdens ge- 
nommen und in seiner gesetzlich gegebenen Form, der wissen- 
schaftlichen Prüfung, der Untersuchung seiner funktionellen Be- 
deutung innerhalb des gesammten Rechtssystems zugeführt werde. 
Dies aber wird zweifellos erschwert durch die unablässige Ver- 
mengung der staatsrechtlichen Probleme mit den Aufgaben und 
Projekten der mitten im Gährungsprozesse befindlichen ökonomi- 
schen Disziplinen.* — Dem gegenüber behauptet v. Host, dass, 
Archiv für Öffentliches Recht. II. 1.
	        
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