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stets einen Gegenstand lebhafter Verwunderung in der Rechts-
geschichte bilden, dass die deutsche Nation sich im Verhältniss
sehr lange Zeit damit zufrieden gab, dass ihr neugeschaffenes
allgemeines Recht hier so und dort anders ausgelegt und dass
hierdurch eine Rechtsverschiedenheit in vollem Umfange, wenn
auch nicht de jure so doch de facto wieder eingeführt wurde.
Was half dem deutschen Rechte, dass die Voraussetzungen, unter
welchen die Haftpflicht des Frachtführers hinwegfällt, im Norden
dieselben waren wie im Süden, im Osten nicht anders wie im
Westen, wenn das hanseatische Oberappellationsgericht die bezüg-
lichen Bestimmungen durchaus anders auslegte wie das preussi-
sche Obertribunal, wenn dieses wieder mit der Ansicht des Ober-
gerichts in Celle zwar harmonirte, dafür aber zu den An-
schauungen des badischen Öberhofgerichts und des hessischen
Kassationshofes in schärfstem Widerspruch stand? Je zahl-
reicher diese Verschiedenheiten in der rechtlichen Auffassung
der obersten Gerichte der einzelnen Bundesstaaten waren, um so
dringender machte sich das Bedürfniss geltend, wenigstens auf
den Gebieten, welche einheitlich geregelt waren, ein oberstes
Gericht zu besitzen. Die Schaffung des Norddeutschen Bundes
ermöglichte die Erfüllung eines heissen Wunsches der Nation
und mit dem Bundes-, später dem Beichsoberhandelsgerichte
war der deutschen Nation wieder ein einheitlicher oberster
Gerichtshof gegeben, freilich nicht für alle Gebiete des Rechts,
aber doch für sehr wichtige und umfangreiche. Die Tendenz,
die Kompetenzsphäre dieses Gerichtshofs zu erweitern, trat in
den Jahren nach seiner Konstituirung sehr deutlich zu Tage.
Während der Gerichtshof ursprünglich, wie es schon sein Name
besagte, auf das Gebiet der oberstrichterlichen Entscheidung in
Handels- und Wechselsachen beschränkt war (Bundesgesetz vom
12. Juni 1869), wurde durch das Bundesgesetz, betreffend die
Aufhebung der Flössereiabgaben vom 1. Juni 1870, bestimmt,
dass, wenn wegen der Beseitigung bestandener Abgaben der
Flösserei ein Entschädigungsanspruch gegen den Fiskus des
Norddeutschen Bundes erhoben würde, darüber ın letzter Instanz
das Bundes-Oberhandelsgericht entscheiden solle. Das Bundes-
gesetz vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schrift-
werken, wies ihm die oberste Entscheidung in allen Sachen zu,
in welchen es sich um einen Anspruch auf Entschädigung oder