Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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welche seine Rechtsprechung auf sie ausübte, eine überaus heil- 
volle und segensreiche war und dass der genannte Gerichtshof 
sich unvertilgbare Verdienste um die Rechtspflege in Deutschland 
erworben hat. Mit der Schaffung eines einheitlichen Verfahrens 
in Straf- und Zivilsachen, wurde auch die Erweiterung des Reichs- 
oberhandelsgerichts nothwendig. Es entsprach dem naturgemässen 
Entwicklungsgange, welchen das deutsche Rechtsleben seit zehn 
Jahren genommen hatte, dass die Beschränkung des obersten 
Gerichtshofs auf bestimmte Theile des Rechtslebens fallen gelassen 
wurde, dass aus dem RBeichsoberhandelsgerichte ein Reichs- 
gericht herauswuchs. Die Motive zu dem Gerichtsverfassungs- 
gesetze, welches im Namen der verbündeten Regierungen mittelst 
Schreibens des Reichskanzlers vom 29. Oktober 1874 dem Reichs- 
tage vorgelegt wurde, äussern sich über diesen Punkt in folgender 
Weise!): „Es ist nur eine Konsequenz und zwar eine unabweis- 
bare Konsequenz der durch die Einsetzung des Reichsoberhandels- 
gerichts eingeleiteten Entwicklung, dass das Reichsoberhandels- 
gericht einem Reichsgericht zu weichen, dass an die Stelle des 
mit beschränkter Zulässigkeit ausgestatteten Reichsoberhandels- 
gerichts das Reichsgericht mit umfassender Kompetenz zu treten 
hat. Und dass es geboten ist, diese Konsequenz in dem Momente 
zu ziehen, in welchem das Gerichtsverfassungsgesetz und die 
Prozessordnung eingeführt werden, folgt aus dem Umstande, 
dass die Schaffung der höchsten Instanz den nothwendigen Ab- 
schluss der Gerichtsorganisation bildet.“ Bei der Frage, in 
welcher Weise dieses Reichsgericht konstruirt werden müsse, 
konnte man sich an die analogen Einrichtungen anderer Staaten 
nur sehr bedingt anschliessen. Die ganz eigenartigen staats- 
rechtlichen Verhältnisse des deutschen Reichs, mit welchen der 
Gesetzgeber rechnen musste, brachten es mit sich, dass dem 
Reichsgerichte weder die Stellung in staatsrechtlicher Beziehung 
noch die Kompetenz eingeräumt werden konnte, welche dem 
Kassationshofe Frankreichs oder Ihrer Majestät Supreme Court 
zukommt. Die Grenzen, welche für den Gesetzgeber bei Regu- 
lirung der Justizorganisation durch die Rücksichten gezogen 
wurden, die der Justizhoheit der Einzelstaaten nach Lage der 
Sache gewährt werden mussten und die nach eigener Aussage 
ı) Hann, Materialien zu den Justizgesetzen. Bd. I, S. 39.
	        
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