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wie des gesammten Plenums vorkommen. Die vereinigten Civil-
senate sind zur Entscheidung berufen, wenn ein Civilsenat von
der Entscheidung eines andern Civilsenates oder der vereinigten
Civilsenate abweichen will, wogegen die vereinigten Strafsenate
eine Entscheidung abzugeben haben, wenn ein Strafsenat von der
Entscheidung eines andern Strafsenates oder der vereinigten Straf-
senate abweichen will. Will dagegen ein Civilsenat von der
Entscheidung eines Strafsenates oder der vereinigten Strafsenate
abweichen oder umgekehrt, so hat das Plenum über die Rechts-
frage zu entscheiden und das Gleiche ist der Fall, wenn ein Senat
von einer Plenarentscheidung abweichen will. In allen Fällen,
in welchen die Abgabe einer Entscheidung durch das Plenum
erfolgt, bedarf es einer Mitwirkung des Ober-Reichsanwalts, der
mit seinen schriftlichen Anträgen zu hören ist. Es ist dies,
analog den Bestimmungen anderer Länder, um desswillen vor-
geschrieben, weil der Staat ein wesentliches Interesse daran hat,
dass die autoritative Entscheidung der vereinigten Abtheilungen des
obersten Gerichtshofes das Recht so auslege, wie es seinem Geiste
und Zweck entspricht, und dass um desswillen auch der Ver-
treter des Staatsinterresses, welchem die Wahrung des Rechts
ganz besonders obliegt, Gelegenheit zur Meinungsäusserung er-
halte. Ist vor der Entscheidung der Sache noch eine mündliche
Verhandlung erforderlich, so erfolgt dieselbe nicht vor dem
Plenum, sondern vor dem betreffenden Senate, welcher die Par-
teien unter Mittheilung von dem Ergebniss der Plenarentschei-
dung von Amts wegen zu laden hat. Das Gesetz hat also die
thatsächliche und rechtliche Seite der Frage vollkommen und
streng getrennt; während jene dem damit betrauten Senate nicht
entzogen werden soll, hat über diese nur das Plenum zu befinden.
Wie die Entscheidung einer Rechtsfrage durch die vereinigten
Civil- oder Strafsenate bindend ist, so wohnt auch der Entschei-
dung des Plenums naturgemäss dieselbe Wirkung bei. Das Ge-
setz ist nicht nur für die Befugnisse des Reichsgerichts selbst
von höchster Bedeutung, sondern nicht weniger für die deutsche
Rechtswissenschaft. Es lässt sich kaum eine Entscheidung denken,
welcher ein grösseres Ansehen beiwohnt, als diejenige, welche
von der Autorität des gesammten Reichsgerichts getragen wird.
Wenn auch diesen Plenarentscheidungen nicht der Charakter
einer authentischen Interpretation zukömmt, so ist doch ihre