Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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führt. In allen deutschen Staaten mit Ausnahme zweier Kleinstaaten, An- 
halt und Reuss ä. L., seien zur Zeit der Errichtung des Norddeutschen 
Bundes Diäten aus der Staatskasse an die aus Volkswahlen hervorge- 
gangenen Vertretungskörper gezahlt worden. Eine solche aus Staats- 
mitteln erfolgende Diätengewährung dem Reichstage fern zu halten, sei der 
Zweck des Art. 32 gewesen. Der aus dem allgemeinen Wahlrechte hervor 
gehende Deputirte sollte „wenigstens in einer solchen Vermögenslage sich 
befinden, dass er einige Wochen oder Monate lang dem öffentlichen Interesse 
in der Residenz dienen könne, ohne aus der Tasche des Staates be- 
zahlt zu werden“?). Schon hieraus ergebe sich, dass „Besoldung oder 
Entschädigung“ im Sinne des Art. 32 nur eine solche Besoldung oder 
Entschädigung bedeute, wie sie bis dahin in den Einzelstaaten an die Ab- 
geordneten entrichtet worden. Habe man damals in Deutschland allgemein 
nur aus Staatskassen gewährte Diäten gekannt und habe man dem all- 
gemeinen Stimmrecht gegenüber die Versagung der Diäten durch jene 
Verfassungsbestimmung einführen wollen, so habe offenbar nur die Satzung, 
dass weder aus den Mitteln des Reichs noch aus den öffentlichen Kassen 
der deutschen Bundesstaaten eine Besoldung oder Entschädigung an die 
Mitglieder des Reichstages gezahlt werden dürfe, in dem Art. 32 ihren Aus- 
druck finden sollen und gefunden. Ziehe man hierbei in Betracht, dass in 
der Verfassung überhaupt nur die öffentlich-rechtlichen, nicht aber private 
Verhältnisse der Reichstagsmitglieder geregelt sind, ferner, dass der 
Ausdruck „beziehen“ — es sei nicht das weitergreifende „annehmen“ 
gewählt — nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche auf Emolumente hin- 
zudeuten scheine, welche man aus öffentlichen Kassen empfange, so seien 
auch diese Momente geeignet, die Auslegung zu unterstützen, dass der Ge- 
setzgeber mit den im Art. 32 gebrauchten Worten: „die Mitglieder des 
Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen“ 
nicht den Sinn eines Verbots der Annahme von Privatgeldern zu ver- 
binden beabsichtigt hat. 
In etwas abweichender Motivirung äussert sich das Landgericht in 
Nordhausen in dem am 6. November 1885 verkündeten‘, die Klage des 
Fiskus gegen den Amtsgerichtsrath Lercue abweisenden Erkenntnisse über 
die vorliegende Frage, wie folgt: „Der Art. 32 charakterisirt sich als eine 
Satzung des öffentlichen Rechtes; er bringt in Abweichung von der bis da- 
hin in den meisten Staaten bestandenen und auch noch bestehenden In- 
stitution den gesetzgeberischen Willen dahin zum Ausdruck, dass den Mit- 
gliedern des Reichstages als solchen, also in Bezug auf die ihnen angewiesene 
legislatorische Thätigkeit weder Besoldung, nämlich eine in bestimmten 
Raten und Terminen zahlbare Remuneration, noch eine Entschädigung, 
nämlich eine, wenn auch nur einmalige Pauschalsumme gewährt werden 
solle. Auf die Motive für diesen von der bisherigen Praxis abweichenden 
gesetzgeberischen Akt kann es zunächst für die Beurtheilung und Entschei- 
dung des vorliegenden Rechtsstreites nicht ankommen; wohl aber gestattet 
2) Rede des Bundeskommissars Grafen EuLexsurG in der Sitzung des 
Reichstages vom 15. April 1867. Stenograph. Berichte S. 408.
	        
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