Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

— 1383 — 
Bedeutung verbunden worden, dass weder die Reichsregierung aus Mitteln 
des Reiches oder der Einzelstaaten, noch die Einzelstaaten aus ihren öffent- 
lichen Kassen eine Besoldung oder Entschädigung an Reichstagsmitglieder 
als solche zu gewähren befugt sind“. Man hat ferner erstinstanzlich aus 
dem Schweigen der Regierungen zu der von dem Abgeordneten v. BENNIGSEN 
gestellten Frage eine Zustimmung zu der von dem Abgeordneten geäusserten 
Ansicht gefunden und die spätere Erklärung des Grafen v. Bismarck im Hin- 
blick auf seine Stellung und Autorität als eine von den Regierungen ge- 
billigte und von der Majorität des Reichstages acceptirte authentische 
Interpretation des Art. 32 behandelt. Zwar habe der Graf v. Bismarck — 
so heisst es, nicht ohne ein gewisses Zagen in dem Erkenntniss des Land- 
gerichts in Halberstadt gegen Heıse — keine präzise Antwort auf die 
Anfrage des Abgeordneten v. Bennicsen gegeben, den Sinn seiner Rede 
vielmehr in ein gewisses Dunkel gehüllt, doch lasse sich aus derselben mit 
Bestimmtheit Folgendes entnehmen: Solange es kein Strafgesetz gibt, 
welches den Abgeordneten die Annahme einer Entschädigung aus Privat- 
mitteln verbietet, könne die Regierung ein derartiges Verbot in dem be- 
treffenden Verfassungsartikel nicht finden, sonst würde sie in denselben 
etwas hinein interpretiren, was nicht darin stehe. Hiernach sei anzunehmen, 
dass sowohl auf Seiten der Regierungsvertreter und zwar des Grafen 
v. Bismarck mit der ihm als Präsidenten der Bundeskommissarien innewohnen- 
den Autorität, als auch auf Seiten der Reichstagsmehrheit die Auffassung 
bestand, dass das Verbot der Annahme von Besoldungen oder Entschädi- 
gungen für die Reichstagsabgeordneten sich nur auf das Verbot der An- 
nahme aus öffentlichen, unter der Autorität des Reiches oder der Einzel- 
staaten stehenden Kassen, nicht aber auf die Annahme von Geldern aus 
Privatmitteln beziehe. 
Auffallenderweise ist in keiner der uns vorliegenden Entscheidungen 
erster und zweiter Instanz die ausschlaggebende Frage näher untersucht 
worden — sie ist in einzelnen Urtheilen nur gestreift —, inwieweit 
denn überhaupt die parlamentarischen Verhandlungenund 
die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes für die Interpre- 
tation desselben massgebend sind. Diese Frage hat sowohl Theorie 
wie Praxis schon wiederholt und seit langer Zeit beschäftigt und ist keines- 
wegs als gelöst zu betrachten. 
Von der Ansicht an, dass sowohl den Motiven, als auch insbesondere 
den amtlichen Aeusserungen der Regierungsvertreter für die Erklärung eines 
Gesetzes grosse Bedeutung beiwohne, bis zu der Ansicht, dass diese Hilfs- 
mittel ohne alles und jedes Gewicht seien, sind alle Schattirungen vertreten. 
RoßertT v. Mont z. B. äussert sich in seinem Staatsrecht dahin, dass auch 
mündliche Erklärungen der Minister und sonstigen Regierungskommissarien 
als die Ansicht der Regierung betrachtet werden müssen, falls nicht aus 
nachfolgenden schriftlichen Aeusserungen derselben eine abweichende Mei- 
nung sich unzweifelhaft ergibt oder die Aeusserungen der Kommissarien
	        
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