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Bedeutung verbunden worden, dass weder die Reichsregierung aus Mitteln
des Reiches oder der Einzelstaaten, noch die Einzelstaaten aus ihren öffent-
lichen Kassen eine Besoldung oder Entschädigung an Reichstagsmitglieder
als solche zu gewähren befugt sind“. Man hat ferner erstinstanzlich aus
dem Schweigen der Regierungen zu der von dem Abgeordneten v. BENNIGSEN
gestellten Frage eine Zustimmung zu der von dem Abgeordneten geäusserten
Ansicht gefunden und die spätere Erklärung des Grafen v. Bismarck im Hin-
blick auf seine Stellung und Autorität als eine von den Regierungen ge-
billigte und von der Majorität des Reichstages acceptirte authentische
Interpretation des Art. 32 behandelt. Zwar habe der Graf v. Bismarck —
so heisst es, nicht ohne ein gewisses Zagen in dem Erkenntniss des Land-
gerichts in Halberstadt gegen Heıse — keine präzise Antwort auf die
Anfrage des Abgeordneten v. Bennicsen gegeben, den Sinn seiner Rede
vielmehr in ein gewisses Dunkel gehüllt, doch lasse sich aus derselben mit
Bestimmtheit Folgendes entnehmen: Solange es kein Strafgesetz gibt,
welches den Abgeordneten die Annahme einer Entschädigung aus Privat-
mitteln verbietet, könne die Regierung ein derartiges Verbot in dem be-
treffenden Verfassungsartikel nicht finden, sonst würde sie in denselben
etwas hinein interpretiren, was nicht darin stehe. Hiernach sei anzunehmen,
dass sowohl auf Seiten der Regierungsvertreter und zwar des Grafen
v. Bismarck mit der ihm als Präsidenten der Bundeskommissarien innewohnen-
den Autorität, als auch auf Seiten der Reichstagsmehrheit die Auffassung
bestand, dass das Verbot der Annahme von Besoldungen oder Entschädi-
gungen für die Reichstagsabgeordneten sich nur auf das Verbot der An-
nahme aus öffentlichen, unter der Autorität des Reiches oder der Einzel-
staaten stehenden Kassen, nicht aber auf die Annahme von Geldern aus
Privatmitteln beziehe.
Auffallenderweise ist in keiner der uns vorliegenden Entscheidungen
erster und zweiter Instanz die ausschlaggebende Frage näher untersucht
worden — sie ist in einzelnen Urtheilen nur gestreift —, inwieweit
denn überhaupt die parlamentarischen Verhandlungenund
die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes für die Interpre-
tation desselben massgebend sind. Diese Frage hat sowohl Theorie
wie Praxis schon wiederholt und seit langer Zeit beschäftigt und ist keines-
wegs als gelöst zu betrachten.
Von der Ansicht an, dass sowohl den Motiven, als auch insbesondere
den amtlichen Aeusserungen der Regierungsvertreter für die Erklärung eines
Gesetzes grosse Bedeutung beiwohne, bis zu der Ansicht, dass diese Hilfs-
mittel ohne alles und jedes Gewicht seien, sind alle Schattirungen vertreten.
RoßertT v. Mont z. B. äussert sich in seinem Staatsrecht dahin, dass auch
mündliche Erklärungen der Minister und sonstigen Regierungskommissarien
als die Ansicht der Regierung betrachtet werden müssen, falls nicht aus
nachfolgenden schriftlichen Aeusserungen derselben eine abweichende Mei-
nung sich unzweifelhaft ergibt oder die Aeusserungen der Kommissarien