— 1399 —
später von der Regierung in Abrede gezogen werden ?°). Dagegen lehrt
MITTERMAIER ??), der freilich wieder auf die Motive und Kommissionsberichte
Gewicht legt: „wichtiger seien die Erklärungen der Regierungskommission
doch nur, wenn sie amtliche Mittheilungen im Auftrage des Regenten
machen, welche dann natürlich die Ansicht der Regierung enthalten.
Allein die im Laufe der Debatten erfolgenden Antworten, welche ohne
spezielle Instruktion ertheilt werden, seien nur als individuelle Ansicht, wohl
sogar als eine absichtliche Ausweichung von der Wahrheit zu betrachten.
WÄCHTER ??) bemerkt unter anderem: „Was das eine oder andere Kammer-
mitglied zur Unterstützung seines Votums ausführte, davon kann man zur
Auslegung des Gesetzes keinen Gebrauch machen. Denn die Motive, welche
ein einzelnes Kammermitglied bestimmten, dem Gesetze beizutreten, kann
man nicht als die Motive der Ständeversammlung oder der den stän-
dischen Beschluss genehmigenden Regierung betrachten.“ Weiter sagt er
in seinen Pandekten °®): „Ergibt sich, dass über den Sinn, in welchem
ein Gesetz angenommen und promulgirt werden sollte, Regierung und Stände
verschiedener Ansicht waren, während sie sich doch über die Worte ver-
einbart hatten, so muss sich der Richter möglichst an die Worte halten,
weil hier weder der einseitige Sinn der Regierung noch der der Stände
massgebend sein kann“.
Auch DerngurG?®) warnt vor der Ueberschätzung der Materialien eines
Gesetzes, insbesondere der Motive. „Noch mehr Vorsicht“ — so fährt er
fort — „ist nöthig gegenüber den Aeusserungen der Mitglieder der Parla-
mente und der Regierungskommissarien bei den Berathungen in den Kom-
missionen und Häusern der gesetzgebenden Versammlungen. Denn sie sollen
keineswegs immer objektiv der Klarstellung des Inhalts des Gesetzentwurfs
dienen, sie verfolgen unter Umständen den unmittelbaren praktischen Zweck,
das Gesetz zur Annahme oder zum Fall zu bringen und enthalten einseitige
Darstellungen mit Rücksicht auf die Lage der Verhandlungen. Ein Rechts-
satz, welcher im Gesetze selbst nicht enthalten ist, kann nie aus den Mo-
tiven der Gesetzentwürfe oder derartigen Verhandlungen hergeleitet werden.‘
Sehr entschieden ist in früherer Zeit schon ScHarrrartn ?°) für die An-
sicht aufgetreten, dass das Gesetz nur aus sich selbst erklärt werden müsse
und keiner materiellen Ergänzung aus anderen Schriften bedürfe. Die
sämmtlichen landständischen Verhandlungen könnten nur gebraucht werden
als formelle Hilfs- und Beweismittel, namentlich zur grammatikalischen oder
deklaratorischen Auslegung und zur Aufklärung von Dunkelheiten des
Ausdrucks.
20) Archiv für Kriminalrecht 1842, S. 350.
21) Die Strafgesetzgebung in ihrer Fortbildung. Beitrag I, S. 217 fg.
22) Abhandlungen aus dem Strafrechte I, S. 247.
28) Band I, S. 134.
24) Pandekten Bd. I, S. 76, Note 6.
25) Theorie der Auslegung konstitutioneller Gesetze. Leipzig 1842.
Eine Uebersicht der früheren Ansichten überhaupt gibt v. MonL im Archiv
für Kriminalrecht 1842, S. 217 fg.