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beziehen, zusammenzufassen. Das Bestreben, aus dem Verwaltungsrecht ein
besonderes eigenartiges genus von Rechtssätzen zu machen und es in einen
begrifflichen Gegensatz zu Privatrecht, Strafrecht, Prozessrecht und Staats-
recht zu bringen, anstatt es als ein Konglomerat verschiedenartiger
Rechtssätze zu erkennen und bei jedem seiner Bestandtheile der spezifischen
Natur desselben gerecht zu werden, ist meines Erachtens das schwerste
Hinderniss einer befriedigenden Dogmatik des Verwaltungsrechts. Denn bei
der wissenschaftlichen Erörterung eines jeden Rechtsinstituts, bei der Ent-
wickelung eines jeden Rechtssatzes, ergibt sich das unabweisbare Bedürf-
niss, die Zusammenhänge mit den höheren Rechtsbegriffen, die Beziehungen
zu den parallel laufenden Rechtsbildungen aufzusuchen und die daraus sich
ergebenden Ergänzungen, Einschränkungen, Modifikationen, Wechselwirkun-
gen zu ermitteln. Wo aber diese allgemeinen Kategorien, diese nebenher
laufenden, durch zahllose Zwischenverbindungen zusammenhängenden Rechts-
gestaltungen zu suchen sind, das ergibt sich aus der Natur des betreffenden
Rechtssatzes. So sind z.B. die speziellen Rechtsregeln über die Transport-
verträge der Verkehrsanstalten mit den allgemeinen Grundsätzen des Fracht-
geschäfts, überhaupt des Privatrechts, die speziellen Vorschriften über die
Bestrafung der Defraudationen mit den allgemeinen Rechtsregeln des Straf-
rechts, die Vorschriften über das dabei zu beobachtende Verfahren mit den
Grundsätzen des Prozessrechts in wissenschaftliche Verbindung zu setzen
und aus ihnen zu erläutern und zu ergänzen, während die Organisation
der Verkehrsanstalten, die Dienstpflicht der dabei angestellten Beamten, die
Handhabung der öffentlichen Gewalt, insbesondere polizeilicher Befugnisse,
die Finanzkontrolle u.s. w., kurz Alles was staatsrechtlichen Charakters ist,
in derselben Weise mit den allgemeinen Grundsätzen des Staatsrechts zu
combiniren und aus ihnen zu erläutern ist. Wenn man zu sagen pflegt,
dass die Rechtsvorschriften über den Betrieb der Staatsanstalten weder nach
privatrechtlichen noch nach staatsrechtlichen, sondern nach besonderen ver-
waltungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurtheilen seien, so beruht dies
meines Erachtens auf einer Unklarheit der Anschauung. Was soll man
unter dem letzteren Ausdruck sich denken? Spezifische, dem Verwaltungs-
recht eigenartige Rechtsprinzipien gibt es nicht. Richtig ist es aber, dass
nicht ausschliesslich privatrechtliche und ebensowenig ausschliess-
lich staatsrechtliche Grundsätze Anwendung finden, sondern dass neben-
einander und in Verbindung miteinander staatsrechtliche, privatrechtliche,
strafrechtliche und prozessrechtliche Regeln dieses Gebiet beherrschen. Diese
verschiedenen Elemente sind durch die Bedürfnisse der einzelnen Ressorts
zu einheitlichen Komplexen verschmolzen; in der Gesetzgebung, in dem
thatsächlichen Betriebe der Staatsanstalten, sozusagen in der sinnlichen Er-
scheinung, treten diese Komplexe als solche entgegen; die Analyse der-
selben in ihre Elemente und die Bestimmung der spezifischen juristischen
Natur der letzteren, sowie die Darlegung ihrer eigenthümlichen Kombina-
tionen ist die Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft. Auf diesem
Wege allein ist eine theoretische Erkenntniss der komplizirten Erscheinun-
gen des Lebens auch auf dem Gebiete der staatlichen Verwaltung zu ge-
winnen.
Für das französische Recht kommt nun aber ein praktisch sehr
wichtiger Grundsatz hinzu, der sich aus dem Verfassungsprincip der Ge-
walten-Trennung ergibt. Die Civilgerichte haben, von einzelnen positiven
Ausnahmen abgesehen, über Verwaltungsakte nicht zu erkennen. Dadurch
sind das öffentliche Eigenthum, die sog. Servituten des öffentlichen Rechts