Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

8 —_ 
Unterlassung derselben würde höchstens die Vermuthung begrün- 
den, dass eine wirkliche Besitzergreifung nicht stattgefunden. Die 
Kongressmächte haben ferner die Verpflichtung anerkannt, in den 
von ihnen erworbenen afrikanischen Gebieten einen Gerichtsstand 
einzurichten, der hinreicht, um den Frieden aufrecht zu erhalten, 
erworbenen Rechten und eintretenden Falls den Bedingungen 
Achtung zu verschaffen, unter denen die Freiheit des Handels 
und des Durchgangsverkehrs verbürgt ist. Auch von der Er- 
füllung dieser Verpflichtungen ist die Wirksamkeit der Staats- 
hoheit andern Mächten gegenüber nicht abhängig. Die Beschlüsse 
enthalten nur eine Vereinbarung der Kongressmächte über die 
Art und Weise der Ausübung der Staatshoheit ihrerseits. 
Mit der Besitzergreifung geht die völkerrechtliche Souveränetät 
des in Besitz genommenen Gebietes auf den erwerbenden Staat 
über. Das neu erworbene Gebiet wird ein Bestandtheil desselben 
ebenso wie das übrige Staatsgebiet, ohne Rücksicht darauf, ob 
das Gebiet zu dem Mutterlande gehört oder Kolonie ist. Völker- 
rechtlich gibt es keinen Unterschied zwischen dem Mutterlande 
und den Kolonien ®). 
Der völkerrechtliche Erwerb erfolgt nun nach deutschem 
Staatsrechte durch den Kaiser. Denn es steht nach Art. 11 der 
Reichsverfassung dem Kaiser die völkerrechtliche Vertretung des 
Reiches in vollem Umfange zu. Derselbe vermag also auf völker- 
rechtlich zulässigem Wege die Souveränetät über nicht zu dem 
Reiche gehörige Gebiete für dasselbe zu erwerben. Durch die 
mit Zustimmung des Kaisers erfolgte Erwerbung können nun 
6) BeiHErFTeER, a. a. 0., 8.152. N.5 bemerkt der Herausgeber GEFFcKEN: 
„Der moderne staatsrechtliche Begriff der Kolonie ist der einer vom Mutter- 
lande räumlich getrennten, aber unter ihm stehenden und zu seinem Gebiete 
integrirenden Dependenz.“ Richtig ist dies nur mit der Massgabe, dass 
jener Begriff nicht der staatsrechtliche, sondern der völkerrechtliche ist. 
Der staatsrechtliche Begriff ist nach der Verfassung der einzelnen Staaten 
verschieden und kann desshalb nicht durch das Völkerrecht gegeben werden. 
Besser ist die Begriffsbestimmung bei Varteı, Cours de droit des gens, 
Paris 1863, I, 18 $ 210: „Lorsqu’une nation s’empare d'un pays &loigne 
et y etablit une colonie, ce pays quoique separe de l’etablissement principal 
fait naturellement partie de l’etat tout comme les anciennes possessions.“ 
Uebrigens ist die räumliche Trennung vom Mutterlande, wenn auch die 
Regel, so doch kein besonderes Merkmal der Kolonien und nicht noth- 
wendig, wie das Beispiel Sibiriens zeigt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.