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Die alte Eidgenossenschaft vor dem Jahre 1798 hatte niemals
eine Verfassung im heutigen Sinne; es sind auch blos zwei Mal, im
Jahre 1655!) und später noch einmal bei Anlass der letzten Erneue-
rung des französischen Bündnisses (mit Ludwig X VI.) Versuche zur
Vereinbarung einer solchen gemacht worden. Ihr Bundesstaatsrecht
beruhte auf dem Gesammtinhalt der einzelnen Bundesbriefe, die
nicht alle gleichlautend waren und auch nicht alle Bundesglieder
direct mit einander verbanden, daneben auf einzelnen Verständi-
gungen über wichtige gemeinsame Angelegenheiten (Militärisches,
Rechtsgang, Garantie der innern Ordnung), wie sie besonders
der Pfaffenbrief von 1370, der Sempacherbrief von 1393, das
Stanzer Comprommiss von 1481 enthalten, und vielfach auf blossem
Gewohnheitsrecht, dem sog. Eidgenössischen Herkommen. Selbst
die Tagsatzungen, das einzige Bundesorgan, waren nirgends all-
gemein verbindlich vorgeschrieben (in den meisten Bünden fehlt
sogar jede Erwähnung derselben) und waren ursprünglich nicht
regelmässige, sondern blos anlässliche Versammlungen der Bundes-
genossen, meistentheils zum Zwecke schiedsgerichtlicher Ent-
scheidungen, also nicht eine politische Staatskörperschaft. Der
selbständige repräsentative Charakter heutiger parlamentarischer
Versammlungen fehlt ihnen ganz, der einzelne Abgeordnete war
blos ein Gesandter seines Staats zu einem Üongresse von Staaten,
handelte daher lediglich im Namen und Auftrage seiner heimi-
schen Obrigkeit?.. Wenn Angelegenheiten zur Sprache ge-
bracht wurden, für die er keinen Auftrag besass, so wurde über
dieselben blos unverbindlich verhandelt, sodann aber die Sache
„ad referendum genommen“, d. h. der Berichterstattung an die
einzelnen Obrigkeiten vorbehalten, deren Meinung und eigentliche
Stimmabgabe dann bei der nächsten Tagsatzung eröffnet werden
sollte, wobei es dann allerdings oft genug vorkam, dass solche
1) Vgl. darüber Hırıy, Revision und Reorganisation. Bern 1880, worin
der hauptsächlichste dieser Versuche abgedruckt ist.
2, Es gibt sogar Beispiele von Tagsatzungen, in welchen nicht einmal
der Name des Vertreters eines Standes genannt ist, sondern im Ingress des
Abschieds blos gesagt ist „für Glarus ein Junger“, dessen Person man gar
nicht weiter zu kennen braucht, sobald nur feststeht, dass der Stand Glarus
vertreten ist. Vide Luzerner Tagsatzung von 1469 12. April. Eidg. Abschieds-
sammlung II. 395.