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setzen hatten!)., Aller dieser inländischen und auswärtigen
Landesherren, worunter also grosser europäischer Mächte, wussten
sich die freiheitsstolzen rhätischen Gemeinden mit einer Geschick-
lichkeit und Ausdauer allmählich zu entledigen, beziehungs-
weise deren an sich ganz berechtigte T'heilnahme an der Politik
des Landes auf ein blos ökonomisches Verhältniss herunter-
zudrücken, die ihre würdige geschichtliche Darstellung noch nicht
gefunden hat, so dass schliesslich auch hier, wie im Wallis, der
einheimische Staat die Oberhand über alle anderen Gewalten
erlangte. Wenn man mit unbefangenem Auge den Einfluss
studiren will, den die beständige Theilnahme an grösseren An-
gelegenheiten auf Geist und Character eines Volkes ausüben, so
bietet hiezu die Graubündnerische Geschichte, die leider bisher
nur in mangelhaften Darstellungen und ohne eigentliche Benützung
der vorhandenen reichhaltigen Landesarchive besteht, Anlass,
wobei wir nicht verschweigen wollen, dass es auch hier eine Zeit
gab, in welcher ein gewisses Streben nach moderner, etwas mehr
schablonenhafter Staatsordnung die Referendumseinrichtung als
die eigentliche Quelle aller landesüblichen Unordnung bezeichnete.
Es gibt eben immer Leute, denen äussere Gleichmässigkeit in
allen Verhältnissen, gewissermassen ein regelmässiger Kasernen-
Styl des Staatsgebäudes als das Ideal vorschwebt, nach dem zu
streben sei, und die für die historischen Ecken und Winkel
einer aus vielen successiven Entstehungsphasen hervorgegangenen,
daher etwas alterthümlichen und unregelmässigen, aber dafür wohn-
lichen und behaglichen Bauart kein rechtes Verständniss haben.
Die modernen Staatsmänner der anderen Cantone vollends be-
trachteten viele Jahre hindurch Graubünden mit seinen Staats-
einrichtungen als eine Art von gesetzlosem Lande (sie konnten
sich ja dafür schon auf Schiller berufen) und massen alles,
was dort mangelhaft war oder ihnen wenigstens so erschien, vor-
zugsweise dem Referendum bei!?). Dass dasselbe hingegen das
12) Vgl. hierüber Hırry „Vorlesungen über die Politik der Eidgenossen-
schaft“. Bern 1875.
18) Einzelne solcher Vorurtheile und fables convenues, z. B. die, dass
des Referendums wegen keine ordentliche Forstaufsicht in Graubünden be-
standen habe, kann man noch heute mitunter hören.