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grob“, die Gemeinden bei Anlass der jährlichen Eidesleistung
darüber angefragt, und der Züricher Bürgermeister MArcus Röusr,
der einst selber der erste Hauptmann der noch jezt bestehenden
päpstlichen Schweizergarde gewesen war, erlebte noch kurz vor
seinem Tode eine allgemeine und grossartige Aeusserung des
Volksvertrauens und die Festhaltung des grossen Entschlusses
von Zürich, durch welchen, wie HOoTTINGER sagt, „nicht die
weiten Hallen von Jesu Kirche, sondern der Zwinger verlassen
wurde, welchen an derselben Rom kunstvoll erbaut.“
Die praktische Geltung der obengenannten Spruchbriefe er-
streckte sich auch hier nicht über das 16. Jahrhundert hinaus,
dieselben wurden vielmehr nach Ablauf eines Jahrhunderts von
den Zürcherischen Obrigkeiten ignorirt, theilweise sogar bei ge-
gebenem Anlasse mit offener Gewalt beseitigt °®).
Meines Wissens sind dies die wesentlichen charakteristi-
schen Spuren für die Anfänge des heutigen Referendums, soweit
sie aus der alten Zeit der Eidgenossenschaft datiren ®9). In
»®) Im Jahre 1646 namentlich fand ein Aufruhr im Wädenswyler und
Knonauer Amte wegen einer neuen Steuer statt, gegen welche sich die
Unterthanen auf den Waldmann’schen und den Kappeler Brief beriefen. Die
Stadt Zürich liess damals Truppen nach Wädenswyl ausrücken und den
Unterthanen diese „vermeintlichen“ Freiheitsbriefe, durch die sie doch blos
in Irrthum versetzt und unglücklich gemacht werden, wieder wegnehmen und
dieselben auf völlige Ergebenheit und unbedingten Gehorsam gegen ihre
gnädigen Herren vereidigen.
»7) Das Referendum der Amtsgemeinden war auch in Luzern nach
dem Aufstand von 1513 auf eine kurze Zeit eingeführt worden (vgl. SEGESSER,
Luzerner Rechtsgeschichte III. I. 271). Schon im Jahre 1525 aber ver-
zichteten die Aemter darauf und stellten den betreffenden Brief zurück, da
eine gewisse Einigkeit der Action, der beginnenden Reformation wegen, noth-
wendig erschien. Man wollte eben nicht über Krieg und Frieden auf
diesen Amtsgemeinden abstimmen lassen. Jede Zeit der vorherrschenden
äusseren Politik, die eine energische und gleichzeitig discrete Staatsleitung
erfordert, ist der inneren Freiheit nicht günstig. Landsgemeinden gab es
ausser in den demokratischen alten sechs Orten, noch in dem Unterthanen-
lande des Abtes von St. Gallen Toggenburg, das eine von den übrigen,
Landestheilen dieser geistlichen Monarchie etwas verschiedene Rechtsstellung
hatte. Eine eigentliche constitutionelle Bedeutung gewannen dieselben jedoch
erst unmittelbar vor dem Ausbruche der Revolution, die schliesslich die be-
rühmte Abtei gänzlich beseitigte, durch einen Vertrag mit dem Landesherrn