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Zürich und Bern erscheint demnach dasselbe (sehr verschieden von
Wallis und Graubünden) bereits wie ein gewährleistetes „Volks-
recht“ gegenüber einer an und für sich kraft eigenem Rechte
regierenden aristokratischen Obrigkeit. Diese Auffassung hat
sich Öfter noch in die Verfassungen unserer heutigen Zeit über-
tragen, in denen von solchen Regierungen keine Rede mehr, son-
dern vielmehr die „Volkssouveränität“ eine allgemein anerkannte
ist. Dessenungeachtet und in vollem Widerspruche mit den grund-
legenden Ideen unserer Zeit figuriren das Referendum und die
Initiative noch in den jetzigen Verfassungen der Oantone ziemlich
allgemein unter dem Titel: „Volksrechte“, als ob es Rechte
wären, die dem gesammten Volke von irgend Jemand erst ab-
getreten und zugebilligt werden müssten. Der umgekehrte Stand-
punkt, wornach das Volk alle politischen Rechte direct ausübt,
die es nicht durch die Verfassungen an gewisse Organe delegiren
will, würde den jetzigen republicanisch - demokratischen An-
schauungen und Einrichtungen besser entsprechen; der Gedanke
an „Volksrechte“ entspricht lediglich historischen Erinnerungen,
die sich darin unbewusster Weise noch geltend machen. Es ist
vielleicht hier für ausländische Leser beizufügen, weil es zum
von 1795. Eine Art von Tagsatzung im Feld mit Referendum an die militärische
Landsgemeinde des gesammten Heeres kommt endlich noch in der Kriegs-
geschichte der Schweiz vor. Bei grösseren Kriegszügen pflegten die
Orte ihren Hauptleuten auch noch angesehene Rathsglieder mitzugeben, so
dass eine Tagsatzung im Felde gebildet werden konnte, welche sehr oft über
die wichtigsten Dinge, Waffenstillstände, Friedensverhandlungen selbstständig
eintrat und die Abschlüsse (in der Regel an die einzelnen Orte) nach Hause
berichtete. In manchen Fällen aber nahm das Heer selbst in landsgemeinde-
artiger Weise diese militärischen Angelegenheiten in eigene Hand. Die
Schlacht von Marignano (1515) und diejenige von Bicocca (1522) wurden
z. B. in dieser Weise beschlossen. Interessante Beispiele von solchen „Kriegs-
gemeinden“ sind die beiden vor Kappel vom Jahre 1529. Damals
trugen zuerst die Abgeordneten der 5 katholischen Orte und die Vermittler
in einem von dem Züricherheere gebildeten grossen Viereck ihre Friedens-
vorschläge vor und sodann ritten am 16. Juni 50 Züricher in das Lager
der katholischen Orte und hielt Hans Escher seine Rede vor den in
Stahl gehüllten trotzerfüllten Unterwaldern und übrigen Verbündeten: Prae
caeteris Sylvanos ita ferro contectos undique ut procul intuentibus non viri,
sed chalybis massa fulgentissima putarentur. Stetisse omnes leonum in modum
veluti jamjam proeliaturos*. (Myconius.)