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kratien der Landsgemeindecantone, wo, trotzdem zu keinen Zeiten
irgend eine politische Rechtsungleichheit bestand und alles Poli-
tische seit Jahrhunderten unter freiem Himmel vor dem ganzen
Volke verhandelt wurde, noch immer ganz die gleichen Namen
an der Spitze stehen, die wir bereits aus der Zeit der ältesten
Bünde als Vorsteher dieser Gemeinwesen kennen. Aus dem
nämlichen Grunde ist es aber auch nicht nothwendig für den
Einfluss der gebildeten Olassen ängstlich besorgt zu sein. Soferne
dieselben sich tüchtig erhalten und nicht selbst von dem
öffentlichen Leben zurückziehen, werden sie nach unserem Dafür-
halten immer ihr natürliches Gewicht beibehalten, und die
lehrreiche schweizerische Geschichte zeigt keineswegs, dass in den-
jenigen Perioden, in welchen die Rathsboten von Bern und Zürich
auf die Landschaften zum Berichte hinausgingen, weder das Volk
unverständiger und petulanter, noch die Regierung weniger kräftig
und angesehen war, als in der späteren Zeit der ausschliesslichen
Oligarchie.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war in der schwei-
zerischen Eidgenossenschaft die repräsentative Demokratie die beı
Weitem vorherrschende Staatsform. Einzig in Graubünden und
Wallis und in den damaligen acht Landsgemeindecantonen 3°) be-
stand ein directes Gesetzgebungsrecht des Volkes. Ueberall
sonst war die gesetzgebende Gewalt, die Controle über die Ver-
waltung und die Ausübung der hoheitlichen Rechte repräsenta-
tiven Versammlungen anvertraut, welche ursprünglich sogar durch
Vorrechte der ehemals regierenden städtischen Bevölkerungen und
bedeutenden Wahlcensus einen ziemlich aristokratischen Bei-
geschmack hatten und durch Niemand, weder eine freie Presse,
noch Vereinsthätigkeit, nicht einmal durch das Zweikammersystem
(das bei uns nirgends ausser für die Eidgenossenschaft selbst
besteht) in ihrer Gewalt controlirt waren. Selbst in den neuen
Cantonen, welche auf Grund der helvetischen Revolution aus ehe-
maligen Unterthanenländern und zugewandten Orten gebildet
Gegenwärtig besteht die alte Landsgemeindeverfassung nur noch in Uri,
Unterwalden, Glarus und Appenzell.