— 208 —
tischen Folgerungen neuerdings lebhaft erörtert und aus dieser
Zeit stammen in der Schweiz die ersten Anfänge einer Volks-
abstimmung in dem modernen Sinne eines „Volksrechtes“. Der
erste Canton, der sich hiezu entschloss, war der im Jahre 1803
aus allerlei heterogenen Bestandtheilen neu construirte Canton
St. Gallen, welcher nach langen Debatten in einem stürmisch
bewegten Verfassungsrathe des Jahres 1831 ein sogenanntes Veto
einführte, wonach das Volk das Recht der Genehmigung der
Gesetze in der Weise erhielt, „dass es nach Erlassung eines Ge-
setzes die Anerkennung und Vollziehung desselben kraft seiner
souveränen (rewalt verweigern kann“. Demgemäss konnten
50 Bürger einer politischen Gemeinde innert 45 Tagen nach
Erlass eines Gesetzes (worunter Civil- und Strafgesetze, Staats-
verträge, Gesetze über allgemeine Abgaben, Militärwesen, Ge-
meindewesen verstanden werden) die Abhaltung einer Gemeinde-
versammlung verlangen und darin über Anerkennung oder Nicht-
anerkennung des betreffenden Gesetzes abstimmen lassen. Diese
Protocolle von Gemeindeabstimmungen, die in dieser Weise
spontan, ohne eine allgemeine Anordnung und ohne Gleichzeitig-
keit, innerhalb der ganzen Vetofrist erfolgen konnten, wurden der
Regierung des Cantons übermittelt, und wenn sich daraus er-
gibt, dass die Mehrheit aller stimmberechtigten Bürger des ganzen
Cantons gegen das Gesetz Einsprache erhoben haben, so fällt
dasselbe dahin. Die Nichtstimmenden werden bei diesem Systeme
naturgemäss als nicht verwerfend mit in Rechnung gezogen, wie
denn auch diese St. Gallische Verfassung selbst, die dieses Veto
einführte, merkwürdiger Weise ihre Annahme diesen passiven
Bürgern verdankt *?).
Diese Vetoeinrichtung, welche der Canton St. Gallen auch
noch in seiner späteren Verfassung von 1861 beibehielt*?), hatte
2) Es stimmten für dieselben 9190 Bürger, gegen sie 11091, nicht er-
schienen waren die grösste Zahl, 12692. Der vorherige Beschluss des Ver-
fassungs-Rathes diese als annehmend zu zählen, gehört zu den bedenklichsten
Akten unserer politischen Geschichte.
43) Mit geringen Modificationen: '/s der stimmfähigen Bürger jeder Ge-
meinde muss das Veto begehren. Wenn innert der 4ötägigen Vetofrist 10000
Bürger gegen das Gesetz gestimmt haben, so lässt die Regierung innert ferneren