Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Es darf jedoch dabei nie übersehen werden, dass die Ver- 
hältnisse des eidgenössischen Staatsrechtes sich nur aus einer 
gewissen Kenntniss der cantonalen Eigenthümlichkeiten erklären 
lassen, die auf weit engerem Raume dennoch eben so gross und 
historisch ebenso fest begründet sind, als diejenigen der viel grösseren 
Bundesstaaten und dass ferner selten in der Eidgenossenschaft ein 
erheblicher politischer Fortschritt oder Rückschritt erfolgt ist, ohne 
dass vorher eine Vorprobe der nämlichen Action schon in ein- 
zelnen Cantonen stattgefunden hätte. Es gibt Cantone, die 
bestimmte politische Ideen und Tendenzen historisch vertreten 
und mit denselben vorangehen, wenn Zeit und Gelegenheit dazu 
vorhanden zu sein scheint, andere, deren eigenthümliche Natur 
und Verfassung sie von jeder sehr activen Rolle fernhält, dritte, 
die durch ihr spezifisches Gewicht den Sieg einer Sache definitiv 
entscheiden 5?). Den Spuren dieser letzteren folgt dann gewöhn- 
lich die Eidgenossenschaft. Es zeigt sich eben auch hier, dass 
das paradoxe Wort DE Maıstke’s, die wahre Verfassung eines 
Staates sei stets die ungeschriebene, richtig verstanden seine er- 
hebliche Wahrheit hat und der Unterschied zwischen theoretischen 
und praktischen Staatsmännern der Demokratie besteht wesent- 
lich in der grösseren oder geringeren Fertigkeit die Paragraphen 
dieser ungeschriebenen Verfassung zu entziffern und richtig 
zu deuten. 
Von einer Einführung des Volksabstimmungsrechts in irgend 
einer Form für die eidgenössische Gesetzgebung war, wie bereits 
endlich hat noch die Repräsentativverfassung mit unbedingter gesetzgebender 
Gewalt des Grossen Raths beibehalten. Die rein demokratischen Cantone 
mit Landsgemeindeverfassung oder ebligatorischem Referendum, sind somit, 
wenn man sie zusammenrechnet, um eine halbe Cantonsstimme in der Mehr- 
beit. Von den einzelnen Systemen der Gesetzgebung jedoch hat das facul- 
tative Referendum mit oder ohne Initiative zur Stunde noch den Vorzug 
in den Cantonen, wie in der Eidgenossenschaft selber. Die nähere Beschrei- 
bung der cantonalen Einrichtungen folgt in der zweiten Abtheilung dieses 
Aufsatzes. 
5?) Zu den ersteren gehören besonders Waadt, Genf, Baselland, Aargau, 
Luzern, mitunter auch St. Gallen und Graubünden, zu den anderen die 
Landsgemeinde-Cantone, Schwyz, Zug, Wallis, zu der letzten Categorie 
vorzugsweise Zürich und Bern.
	        
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