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erwähnt, von dem Jahre 1864 ab die Rede. Die in Folge des
französischen Handelsvertrages von diesem Jahre mehr in das
allgemeine Bewusstsein getretene Thatsache, dass die Bundes-
verfassung vom 12. Sept. 1848 in ihren Artikeln 41 und 48 die
freie Niederlassung und Rechtsgleichheit nicht allen schweizerischen
Bürgern, sondern nur denjenigen garantire, welche zwei bestimmten
privilegirten Religionsbekenntnissen angehören, war die äussere Ver-
anlassung zu einer Abänderung dieser Verfassung, die sich auch in
anderen Punkten etwas überlebt hatte. Dazu kam der positive
Wunsch der demokratischen Parteien die Allmacht der Bundes-
versammlung, die sich in dieser, sowie in noch anderen Fragen
gezeigt hatte, einigermaassen zu beschränken °*). Dennoch enthielt
der erste Vorschlag zu einer partiellen Revision der Bundes-
verfassung unter seinen neun Punkten eine solche Vorlage nicht
und auch in den Commissionen der Bundesversammlung, welche
diese Revisionspunkte vorzuberathen hatten, wie in der Bundes-
versammlung selbst, fanden sich nur wenige Stimmen (der national-
räthlichen Commission), welche eine Einführung der Volks-
abstimmung über eidgenössische Gesetze für zweckmässig hielten.
Die Abstimmung über die Partialrevision der Verfassung (vom
14. Januar 1866) hatte jedoch ein im Wesentlichen negatives
Resultat°®) und nun entstand erst eine eigentlich lebhafte Be-
wegung für eine vollständigere Revision und für eine entschiedene
Vermehrung der sogenannten „Volksrechte*, sowohl in den ein-
zelnen Cantonen, wie im Bunde selbst °®).
54) In den östlichen Cantonen Graubünden und St. Gallen hatte sich
der Widerwille gegen diese Allgewalt noch ganz besonders durch die favo-
risirende Haltung der Bundesversammlung zu Gunsten des Gotthardunter-
nehmens und gegen ihre (östlichen) Alpenbahnprojecte verschärft. Vgl. dar-
über:v. PLAantA „Der dreissigjährige Kampf um eine rhätische Alpenbahn 1885“.
55) Es wurde nur einer der 9 Revisionspunkte, nämlich die Gleich-
stellung aller Schweizerbürger in Bezug auf Niederlassung und Gesetzgebung
mit 12!/s Ständevoten und 170,032 gegen 149,401 Volksstimmen angenommen,
einen anderen Punkt, metrisches Maass und Gewicht, nahm die Volks-
mehrheit zwar auch an, die Mehrheit der Cantone aber nicht.
56) Die Democraten in den Cantonen gingen nun voran, ähnlich wie
nach der französischen Julirevolution zunächst die Restaurationsverfassungeu
der Cantone geändert wurden, um damit den nöthigen Nachdruck zur
Aufhebung des Bundesvertrags von 1815 zu gewinnen.
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