Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Die Eidgenössische Verfassung ist sodann nach einer längeren 
Kampfperiode, die ganz positiv die Jahre 1870 bis 1874 um- 
fasste, in ihre jetzige Form hinübergeführt worden. Hauptsächlich 
stand in Frage dabei, wenn man die Sache mit Einem Worte be- 
zeichnen will, eine grössere Uentralisation bis an diejenigen äussersten 
Grenzen, welche der Bundesstaat noch nothwendig zu seiner Er- 
haltung bedarf. Neben diesem Zwecke, der nicht völlig erreicht 
wurde, sondern vielmehr mit einem Ersten Revisionsproject vom 
5. März 1872 in der Volksabstimmung vom 12. Mai jenes Jahres 
unterlag °”), stand die Frage des besseren Ausbaues der Volks- 
souveränetät in den Bundeseinrichtungen in der Ersten Linie der 
Revisionsbegehren, nur gab es allerdings auch sehr entschiedene 
Vertreter der Uentralisation, welche durch ihr Naturell, oder 
ihre staatsmännischen Ansichten und Erfahrungen einer Ver- 
stärkung des demokratischen Elements abgeneigt waren ’°®). 
5”) Die seitherige innere Entwickelung der Eidgenossenschaft führt 
langsam und auf Umwegen wieder auf diesen Standpunkt der Centralisten 
von 1872 zurück. Eine solche Probeperiode, wie die verflossenen 15 Jahre, 
zeigt am Besten das Richtige oder Unrichtige aller politischen Bestrebungen. 
Die willkürlichen Geschöpfe des Augenblicks oder individueller Liebhaberei 
verschwinden, die reellen Bedürfnisse machen sich dagegen mit unwider- 
stehlicher Gewalt geltend. Die Realpolitiker ziehen daraus zuweilen den 
Schluss, dass ihre anfängliche Opposition somit in jedem Falle nur zum 
Guten führen könne, sie übersehen dabei nur, dass darüber mitunter ganze 
Generationen verkümmern, die auch einen Anspruch auf ein gesunderes 
Leben gehabt hätten. 
6°) Diejenige politische Richtung, welche mittelst des Referendums den 
Liberalismus und die Centralisation bekämpft, ist dagegen erst seither ent- 
standen. Die besten schweizerischen Staatsmänner (z. B. Duss, WELTI, 
EscHER, SEGESSER) waren in der Revisionsperiode dem Begehren vermehrter 
Volksrechte nicht geneigt, meistentheils aus dem Grund, den ein Redner 
im Nationalrath mit den Worten ausdrückte: mit einem solchen Reibungs- 
Coefficienten verliere die Staatsmaschine ihren gehörigen Nutzeffect. Es ist 
übrigens merkwürdig, wenn man nach 10 bis 15 Jahren solche Debatten 
wieder liest, so Vieles darin zu finden, was sich seither nicht bewahrheitet 
hat und es machen überhaupt diese Reden, für und wider die Volksrechte, 
wie sie sich in den gedruckten offiziellen Protokollen der beiden Revisions- 
perioden und in einem guten Auszuge bei Currı finden, gegenwärtig nicht 
mehr einen erheblichen Eindruck. Man erwartete und fürchtete zuviel 
von der neuen Institution. Nicht uninteressant ist, dass bei der da- 
maligen Abstimmung in den Eidgenössischen Räthen der Nationalrath mit
	        
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