Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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aller hierher gehörigen Fragen lediglich in den Händen der 
Bundesversammlung. Erst die Bundesverfassung von 1874 wies 
ihm die Stellung und Kompetenz zu, die es jetzt besitzt. Der 
principielle Unterschied zwischen dem Schweizer Bundesgericht 
und dem deutschen Reichsgericht bedarf hiernach kaum noch einer 
weiteren Ausführung. Die Nordamerikanische Union und die 
Schweizer Eidgenossenschaft sind die Staaten, welche mit dem 
staatsrechtlichen Oharakter des deutschen Reiches am meisten 
Aehnlichkeit haben. Gleichwohl differiren die obersten Gerichtshöfe 
der drei Staaten in Ansehung ihres staatsrechtlichen Charakters 
ganz wesentlich von einander. Die beiden republikanischen 
Staatenkonföderationen haben ein oberstrichterliches Organ zu einem 
doppelten Zwecke geschaffen, einmal, um die einheitliche 
Handhabung des durch die Zentralgewalt geschaffenen Rechts 
gegenüber seiner Auslegung durch die richterlichen Behörden 
der Gliedstaaten zu sichern, sodann aber und zwar als Haupt- 
zweck, um ihren Bürgern den ungestörten Genuss der ihnen 
garantierten Rechte gegenüber den Eingriffen der Behörden zu 
verbriefen, dasmonarchisch organisirte deutsche Reich hat 
einen obersten Gerichtstof lediglich zu dem ersten Zwecke 
geschaffen. 
Wenden wir uns nunmehr der Betrachtung der obersten 
Grerichtshöfe in den Einheitsstaaten zu, so kommen zunächst 
die obersten Gerichte der Oesterreichisch-Ungarischen 
Monarchie in Betracht !®). 
Für die im Reichsrathe vertretenen Länder des Oester- 
reichischen Kaiserstaates besteht in Wien der oberste 
Gerichts- und Kassationshof, welchem inhaltlich des 
Staatsgrundgesetzes über die richterlichen Gewalten die Aufgabe 
obliegt, für die Einheit und Gleichheit der Rechtsübung 
und ihrer Formen Sorge zu tragen. Demgemäss entscheidet 
derselbe auf dem Gebiete der Ziviljustiz in letzter Instanz 
in allen Streitsachen, sofern nicht nach den bestehenden Gesetzen 
ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der untern Instanzen 
untersagt ist. Auf dem Gebiete des Strafrechts entscheidet 
16) ULBRICH,, Staatsrecht der Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie 
S. 65, 9,
	        
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