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überschreitung und erkennt endlich über die in Gemässheit des
Art. 443 des code d’instruction criminelle eingelegten Revisions-
gesuche. Die Entscheidungen des Kassationshofes hatten ur-
sprünglich für die unteren Gerichte keine bindende Kraft, so
dass es vorkam, dass der Kassationshof in einer Rechtssache
mehrmals mit Entscheidung derselben Frage befasst wurde, weil
das untere Gericht stets bei seiner Ansicht blieb. Nach dem
Gesetze vom 16. September 1807 trat, wenn der Kassationshof
in derselben Sache und unter denselben Parteien auf dasselbe
Rechtsmittel hin die Entscheidung des judex a quo zweimal kassirt
hatte, nach der zweiten Kassation die authentische Interpretation
durch die Regierung ein. Nach der neueren Gesetzgebung von
1837 hat, wenn nach der ersten Kassation die Entscheidung des
unteren Gerichtshofes wiederum mit dem Kassationsrekurse an-
gegriffen wird, die Plenarversammlung des Hofs über das Rechts-
mittel zu erkennen, und ihre Entscheidung ist von dem unteren
Gerichtshofe zu befolgen. Die Kompetenz des Kassationshofes
liegt nur auf der rechtlichen Seite, es obliegt ihm nur die Prü-
fung der Rechtsfrage, das Gebiet der Thatfrage ist ihm gänzlich
verschlossen. Desshalb entscheidet der Kassationshof niemals,
weder in Zivil- noch in Strafsachen, in der Sache selbst, au fonds,
wie man in der französischen Rechtssprache sich auszudrücken
pflegt, sondern er weist die Sache stets vor ein Gericht der un-
teren Instanz zurück. Es ist bemerkenswerth, dass keinerlei Aus-
nahme hiervon besteht, während das Reichsgericht, trotzdem auch
ihm das Gebiet der thatsächlichen Feststellung verschlossen
ist, in gewissen Fällen von einer Zurückverweisung absehen
und in der Sache selbst entscheiden kann. Die Thätigkeit
des Kassationshofes liegt auf dem Gebiete der Zivil- und Straf-
rechtspflege. Durch die letztinstanzliche Entscheidung auf dem-
selben bewahrt er nicht nur die Rechtspflege vor Zerrissenheit und
Zwiespältigkeit, sondern er übt auch durch sie eine sehr wirksame
Aufsicht über die Magistratur aus. Die Einheitlichkeit der natio-
nalen Rechtsübung zu behüten, ist seine Hauptaufgabe. Darum
ist dem Generalprokurator bei ihm das Recht beigelegt worden,
in Zivil- und Strafsachen, ohne dass die konkrete Sachentschei-
dung dadurch geändert würde, zur Wahrung des Rechts den