— 2714 —
eigene Ansicht darüber zu haben, ob die „Volkssouveränetät“
juristisch zulässig oder unzulässig, begrifflich möglich oder un-
möglich ist, diese Ansicht zu vertreten und alle logischen Kon-
sequenzen aus ihr zu ziehen. Allein wie trefllich er auch diese
Ansicht begründen mag, die Thatsache kann er nicht ändern,
dass die Pfahlwurzel des geltenden Verfassungsrechts das Prin-
zip der Volkssouveränetät ist — dass von 1789 an bis auf den
heutigen Tag kein Gesetz erlassen worden und kein richterliches
Urtheil ergangen ist, das nicht auf dieser Voraussetzung ruht.
Er stürzt dieses Fundament des geltenden Verfassungsrechts über
den Haufen und darum kann der Oberbau, den er auf dem
selbstkonstruirten Fundament aufführt, in vielen Stücken nicht
das geltende Verfassungsrecht sein, einerlei wie gut er, ab-
gesehen davon, vor dem Forum der „Wissenschaft“ bestehen mag.
Ehe wir den weiteren Konsequenzen dieser Stellung SCHLIEF’S
zur Volkssouveränetät nachgehen, müssen wir jedoch eine Seite
seiner Beweisführung in der Preamble-Frage etwas näher in’s
Auge fassen. Er sagt zunächst, dass meiner Ansicht nach
„unter ‚dem Volke‘ nicht etwa die Bevölkerung, sondern
die in Gemässheit der Konstitution organisirte (sesammtheit der
Bürger verstanden werden müsse“, und fährt dann fort: „das
ist unstreitig richtig — nachdem die Konstitution ergangen
ist —; aber eben darum ist das Volk, welches sich in der Preamble
nennt und als Urheber der Konstitution auftritt, also die ver-
fassungsmässige Organisation erst schafft, nicht derselbe Faktor,
welcher nur in dieser Organisation handelnd zu denken ist, denn
es ist begriftlich nicht zulässig, das Geschöpf mit dem Schöpfer
zu identificiren. Das Volk der Preamble ist also nicht das ver-
fassungsmässig organisirte Volk; was es sei, dafür ist gar kein
Anhalt und damit von selbst die Möglichkeit ?) gegeben, dass
sich zeitweilig der „Mob“ oder auch ein geschickter Volkstribun
—
4) Damit ist nicht die thatsächliche Möglichkeit, die natürlich
unbestreitbar ist, gemeint, denn die Ausführungen sind gegen mich gerichtet
und ich sage: „Wenn ScrhuIEr (S. 70) meint, auch der „mob“ könne sich
mit dem ‚wir, das Volk der Ver. Staaten‘ ‚identificiren‘, so ist das nicht zu
bestreiten, aber die Verfassung kann dafür nicht verantwortlich gemacht
werden“