Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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lative delegirt nicht die richterliche Gewalt, sondern sie orga- 
nisirt nur das Gerichtswesen, setzt das Verfahren fest und theilt 
die Kompetenz der verschiedenen Gerichte ab. 
Darauf, dass die richterliche Gewalt nicht von der Legislative 
delegirt wird, sondern ein Ausfluss der Verfassung ist, beruht es 
denn auch, dass die Gerichte über die Verfassungsmässigkeit der 
Gesetze nicht nur in formaler Hinsicht, sondern auch nach ihrem 
materiellen Inhalt zu befinden haben. Selbstredend ist das theore- 
tisch wie praktisch eine Thatsache von der eminentesten Bedeutung, 
und es wäre in der That mehr als sonderbar, wenn ich ihrer, 
wie SCHLIEF (Abh. p. 89) behauptet, „nur einmal gelegentlich 
und andeutungsweise“* gedächte. Ich kann mir diese Bemerkung 
nicht anders erklären, als dass er zufällig die eingehenden Er- 
örterungen auf pp. 35—37 des „Staatsrechts“ überschlagen hat. 
Mit der „gelegentlichen“ Erwähnung ist vermuthlich der Satz auf 
p. 21: „Da auch die niederen Bundesgerichte und sogar die 
Staatengerichte über die Verfassungsmässigkeit von Bundes- wie 
Staatengesetzen zu befinden haben“ mit der Anmerkung „SCHLIEF 
(S. 270. 273) ist das nicht bekannt“ gemeint. SCHLIEF weist 
diese „durch ihren Lakonismus geradezu überraschende Bemer- 
kung“ als völlig unbegründet zurück. Nun sagt er jedoch (p. 266), 
dass man, im (Gegensatz zur „amerikanischen Jurisprudenz“, 
„nicht zugeben darf“, dass auch nur das Oberbundesgericht diese 
Befugniss habe, wenn man (mit ihm) der Ansicht ist, „dass die 
richterliche Thätigkeit sich auf eine Delegation von Seiten der 
Legislative gründe“ ; begründet dann seine Ansicht, dass die Be- 
fugniss auch dem Oberbundesgericht nicht zuerkannt werden dürfe, 
mit dem Satz (p. 270): „Gilt es als Regel, dass die Verfassungs- 
mässigkeit der seinen Entscheidungen zu Grunde gelegten Gesetze 
von dem Richter zu prüfen sei, dann muss eben jeder Richter, 
gleichviel ob er als erste, zweite oder dritte Instanz urtheilt, nach 
dieser Regel verfahren“; sagt dann weiter (p. 272): „Die Stellung 
des Obergerichts kann darum begrifflich nicht anders aufgefasst 
werden, als diejenige der sonstigen Gerichtshöfe; also entweder 
sollten (!) alle Richter über die Verfassungsmässigkeit der Gesetze 
in dem hier gedachten Sinne zu urtheilen ihaben oder keinem 
sollte dies gestattet werden, und das letztere wäre jedenfalls das
	        
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