Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Demgegenüber bestreiten wir die Nothwendigkeit einer Ergänzung des 
bestehenden Rechts, ebenso wie die Richtigkeit der der Entscheidung der 
Aufsichtsbehörde zur Stütze dienenden Begründung. Vielmehr vermag eine 
richtige Erkenntniss des positiven Rechts zu einer völlig zweifelsfreien 
Lösung der streitigen Rechtsfrage zu führen. 
Die Einheit der mehreren — vorliegend 4 — vom Wähler abzugebenden 
Stimmen ist keineswegs eine blos formelle, gewissermaassen prozessuale, eine 
blosse Einheit des Wahlgangs, in dem die mehreren selbständigen Stimmen 
verbunden wären. Die Einheit ist eine materielle, der Zusammenhang der 
mehreren Einzelstimmen ein materieller, sie erscheinen zu einer Gesammt- 
stimme vereinigt. Diese bildet den Inhalt des Wahlrechts, nicht die Summe 
der Einzelstimmen. Letztere bestehen nicht unabhängige von einander, 
können nicht jede für sich, bezw. einzeln, sondern nur als Theile der 
Gresammtstimmen abgegeben werden. Denn deren Umfang ist ebenso, 
wie die Art ihrer Ausübung (ob öffentlich oder geheim u. s. w.) objektiv- 
rechtlich festgestellt und kann ebensowenig wie diese durch das subjektive 
Wollen des einzelnen Wählers geändert bezw. beschränkt werden. Ihm 
bietet sich die Gesammtstimme als Inhalt eines untheilbaren Rechts, das er 
ganz oder gar nicht ausüben kann, aus dem er keinen Theil — gleichviel 
ob !/ oder °/k — ausscheiden kann. 
Die Verkennung dieses Untheilbarkeitsprincips, auf Grund deren und 
zwar gemäss jahrelanger Uebung die völlige Selbständigkeit der Einzelstimmen 
als Individualstimmen ohne jeden Zusammenhang mit der Gesammtstimme 
anerkannt wurde, war die Fehlerquelle, die zur Feststellung eines falschen 
Wahlresultats führen musste. Allein so sehr anderseits seine Erkenntniss 
die nothwendige Voraussetzung, so wenig vermag sie allein eine genügende 
Grundlage einer richtigen Entscheidung zu bieten. Ein anderes ist die Er- 
kenntniss eines Princips, ein anderes die Ziehung seiner Konsequenzen; 
jenes kann feststehen, diese können zweifelhaft sein. Das Untheilsbarkeitsprincip 
an sich beantwortet noch nicht die Frage nach den Wirkungen seiner Ver- 
letzung bezw. Nichtbeachtung. Welche Folgen knüpfen sich an die theil- 
weise Abgabe der Gesammtstimme, an die partielle Ausübung des Wahl- 
rechts? 
Nach der Intensität des Zusammenhangs, der zwischen den Einzel- 
stimmen, die als Theile die Gesammtstimme zusammensetzen, besteht, lassen 
sich zwei Grade der Untheilbarkeit denken, die wir etwa durch die Begriffe 
absolute und relative Untheilbarkeit unterscheiden können. 
1) Absolute Untheilbarkeit. Der Zusammenhang zwischen den Einzel- 
stimmen könnte so gedacht werden, dass ihre nur theilweise Abgabe ohne 
jede rechtliche Bedeutung, völlig wirkungslos und nichtig sei. Die juristische 
Konstruktion würde dieses Verhältniss entweder so aufzufassen haben, dass 
die Wirkung der bereits abgegebenen Einzelstimmen suspendirt sei bis das 
Wahlrecht ganz ausgeübt worden, und erst dann alle, wiewohl successiv 
abgegebenen Stimmen zugleich Rechtskraft erlangten, oder aber so, dass die
	        
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