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die absolute Majorität erreicht; die anderen Kandidaten hatten sie nicht
erreicht — ein Fall, der ja mit dem Princip der relativen Untheilbarkeit
wohl vereinbar ist — und war deshalb eine Stichwahl in Gemässheit des
8 25 der Rhein. St.-O. zwischen ihnen anzuordnen.
Es muss zugegeben werden, dass die dieser Entscheidung zu Grunde
liegende juristische Konstruktion eine keineswegs einfache und durchsichtige
ist, keineswegs den „Gesetzen der juristischen Schönheit“ entspricht. Allein,
dürften wir es überhaupt wagen, auf unseren bescheidenen Konstruktions-
versuch jene Gesetze der juristischen Konstruktion, wie sie der grosse Meister
der deutschen Jurisprudenz zuerst erkannt und zu klassischer Darstellung
gebracht hat !!'), anzuwenden, so würden wir uns der Erfüllung eines und zwar
des ersten und wichtigsten jener Gesetze voll bewusst sein: des „Gesetzes
der Deckung des positiven Stoff’s“. Wir würden dies nicht betonen, wenn
nicht die Möglichkeit dieser Deckung bestritten und von maassgebender
Stelle die Ausfüllung einer Lücke im positiven Recht begehrt worden wäre,
welche unter der Arbeit der Rechtswissenschaft verschwindet.
d. „Titulus patrimonii“ und „titulus mensae“ im preussischen Staatsreoht.
Die Voraussetzungen der Anstellung im preussischen Staatsdienst wurden
früher für alle Staatsämter durch den Nachweis moralischer und intellektueller
Betähigung erfüllt; bestimmt geartete Rechtsverhältnisse, familienrechtliche,
vermögensrechtliche u. a., waren für die Anstellung nicht erforderlich: in
dieser Richtung war sie vollständig voraussetzungslos.. Eine Aenderung
dieses Rechtszustandes ist für eine mehrere Tausende umfassende Klasse von
Staatsbeamten durch die Justizministerialverfügung vom 5. Mai 1883 hewirkt
worden, welche im $ 14 als Voraussetzung der Anstellung als Referendar
„den überzeugenden Nachweis, dass dem sich Meldenden tür die Dauer von
fünf Jahren die zum standesgemässen Unterhalt erforderlichen Mittel gesichert
sind“ erfordert. Die verfassungsmässige Zulässigkeit und Rechtsgültigkeit
dieser Norm soll hier nicht geprüft werden: es bedarf dessen um so weniger,
als durch Anerkennung ihrer Rechtsgültigkeit seitens der gesetzgebenden
Faktoren und ununterbrochene mehrjährige Anwendung ihre Geltungskraft
fest begründet und über allen Zweifel erhoben ist. Sie ist uns eine gegebene
rechtliche Thatsache, die als solche nur Objekt der juristischen Konstruktion ist.
Der Gedanke, Vermögensrechtsverhältnisse zur Voraussetzung des
Amtserwerbes zu erheben, hat im Kirchenrecht zur Ausbildung der sogenannten
Ordinationstitel geführt. Neben dem ursprünglich allein zulässigen titulus
beneficii bildete sich als subsidiärer Titel der sogen. titulus patrimonii, welcher
in bestimmt gearteten Vermögensrechten des ordinandus bestand, und in
der Praxis der titulus mensae (Tischtitel), welcher auf dem gehörig beurkun-
deten und verbürgten Versprechen eines Dritten, dass er den Unterhalt des
Geweihten übernehme, beruhte !2).
1) Vgl. Inerme, Geist des R.-R. $ 4
1“) Vgl. Richter, Kirchenrecht (3. 2 8 9.