Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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schweigende Duldung sich manifestirende Wille des Staates. Gerade in die- 
ser Beziehung aber befindet sich der nichtsouveräne Gliedstaat der Bundes- 
staatsgewalt gegenüber in derselben Lage wie der Kommunalverband dem 
Staate gegenüber. Da im Bundesstaat sowohl die Gesammtheit als die Glie- 
der Staaten sind, so schreibt BRıE beiden die subsidiär-allseitige Kompetenz 
zu und zwar soll die Bundesgewalt subsidiär zuständig sein im Verhältniss 
zu den in erster Linie zur Verwirklichung des Staatszweckes innerhalb ihres 
Herrschaftskreises berufenen Einzelstaaten. Mit dem positiven Recht der 
konkreten Bundesstaaten, insbesondere mit der Verfassung des Deutschen 
Reiches, ist diese Auffassung aber schwerlich zu vereinigen. Denn soweit 
die Zuständigkeit des Reiches sich erstreckt, ist diejenige der Einzelstaaten 
ausgeschlossen. Das Reich ist nicht auf die Aufgaben beschränkt, welche 
die Einzelstaaten ihm übrig lassen, sondern in erster Reihe steht das Reich, 
welches die Gegenstände vorweg nimmt, auf welche es seine Zuständigkeit 
erstreckt und den Einzelstaaten verbleibt der Rest, den das Reich übrig 
lässt. Richtiger wäre es daher wohl zu sagen, die Zuständigkeit der Einzel- 
staaten sei im Verhältniss zu der des Reiches die subsidiäre, bedingte. 
Demgemäss ist auch die „Kompetenz-Kompetenz*, welche BrıE sowohl für 
den Bund als für die Gliedstaaten gleichmässig als ein begriffliches Erforder- 
niss erachtet, bei beiden sehr ungleich; denn das Reich kann seine Kompe- 
tenz auf Kosten der Einzelstaaten erweitern, aber nicht die Einzelstaaten 
auf Kosten des Reichs. 
Als das zweite begriffliche Erforderniss des Staates stellt BRıE die 
Befugniss auf, in direkten Zusammenhang mit den einzelnen Menschen zu 
treten. Der Staatenbund herrsche blos über Staaten, nicht über die Ein- 
zelnen, und sei deshalb kein Staat; der Bundesstaat herrsche sowohl über 
die Gliedstaaten, als auch unmittelbar über deren Unterthanen und sei darum 
ein Staat. Wenn es richtig wäre, dass der Staatenbund wirklich eine 
Herrschaft hätte über die Staaten, so könnte man ganz unbesorgt darüber 
sein, dass er auch die Unterthanen derselben beherrschte, denn wenn ein 
Staat einer Herrschaft unterworfen ist, so sind es auch seine Substrate, 
Land und Leute. Dass im Staatenbunde die Unterthanen nicht dem Bunde, 
sondern nur den betreffenden Gliedstaaten unterworfen sind, beruht vielmehr 
darauf, dass der Bund überhaupt keine Herrschaft, keine Staatsgewalt hat. 
Was aber den Bundesstaat anlangt, so ist nach der von BRrIE in Ueberein- 
stimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der neueren Schriftsteller ver- 
theidigten Annahme, das Reich theils auf die Staaten, theils auf deren 
Unterthanen gestützt und es kann sich bei seiner rechtlichen Herrschaft über 
die Unterthanen entweder direct an sie wenden oder sich der Vermittlung 
der Einzelstaaten bedienen. Sofern das Reich den letzteren Weg wählt, 
tritt sofort die mittelbare Unterthanenschaft zu Tage. Geht man aber 
von der mittelbaren Unterthanenschaft als der prinzipiellen Gestaltung aus, 
so muss man dies andererseits durch den Satz ergänzen, dass das Reich da- 
durch nicht gehindert wird, auch unmittelbar die Einzelnen durch seine 
Herrschaftsakte zu ergreifen. Die ganze Kontroverse ist daher praktisch 
ohne alle Bedeutung; sie kann mit so gutem Rechte wie irgend eine andere 
Frage der theoretischen Spekulation für eine blosse Doktorfrage erklärt wer- 
den. Wenn der Gegensatz zwischen Staatenbund und Bundesstaat lediglich 
in der mittelbaren oder unmittelbaren Unterwerfung der Einzelnen unter die
	        
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