Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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Betrachtung des Abschnittes über den Föderalismus hervorruft. Wenn Dicky 
als nothwendige Voraussetzung eines Bundesstaats ein Verlangen nach natio- 
naler Einheit verbunden mit einem gleichzeitigen Entschlusse, die staatliche 
Selbständigkeit zu behaupten, und diese beiden Verlangen als einander wider- 
streitend bezeichnet, so ist das gewiss richtig; wenn er sie dagegen als etwas 
besonders Eigenthümliches auffasst, so kann man ihm darin nicht beitreten. 
Wir glauben im Gegentheil, dass jene Bestrebungen, die in einer bundes- 
staatlichen Verfassung ihre Befriedigung finden, einem tiefen Zuge der 
menschlichen Natur überhaupt entsprechen. In allen denkbaren Lebens- 
kreisen finden wir denselben Gegensatz; in jeder Familie will sich der 
Einzelne gegen den andern Familiengenossen zur Geltung bringen und doch 
fühlen alle, dass sie gegenüber Dritten gemeinsame Interessen haben. Dasselbe 
lässt sich von den verschiedenen Kreisen von Berufsgenossen sagen; das 
Interesse trennt sie und hält sie dennoch zusammen. So auch glaubt der 
einzelne Staat seine Interessen oft nur durch völlige Niederwerfung seines 
Nachbarn wahren zu können und doch verbinden sie tausendfache Beziehungen 
mit einander, die in zahlreichen Verträgen und Satzungen des internationalen 
Rechtes ihren Ausdruck finden. Es will uns scheinen, dass der Verfasser 
bei seiner Würdigung des Föderalismus sich von Anschauungen hat leiten 
lassen, die einem Engländer am nächstliegenden und natürlichsten erscheinen 
müssen. England hat sich die halbe Welt dienstbar gemacht, allein mit dem 
Erwachen nach Selbständigkeit innerhalb der abhängigen Gebiete hat man 
nie daran ernstlich gedacht, in eine Art föderaler Vereinigung mit ihnen zu 
treten, sondern hat sie zu thatsächlich unabhängigen Colonieen gemacht, die 
aber von Rechtswegen noch der Souveränetät des britischen Parlaments 
unterworfen sind, eine Souveränetät, welche freilich praktisch von verschwin- 
dender Bedeutung ist. 
Die erwähnte Anschauung DiceY’s ist es auch, welche ihn (S. 157 ff.) 
in seiner Vorlesung über den Föderalismus zur Folgerung bestimmt, dass 
ein Bundesstaat im Vergleich zu einem Einheitsstaat von gleichen Hülfs- 
quellen nothwendig schwach sein müsse; während man doch zugeben muss, 
dass indem einzelne Attribute, wie namentlich die Militärhoheit und die 
Vertretung nach Aussen lediglich dem Bundesstaat zugewiesen werden, eine 
formidable Macht der Gesammtheit entfaltet werden kann und dass anderseits 
ein Einheitsstaat durch die Fülle der den einzelnen Gemeinden und Cor- 
porationen überlassenen Selbstbestimmung und Verwaltung ungleich schwächer 
als ein Bundesstaat sein kann. 
Wenn wir auch im Vorstehenden gewichtige Bedenken gegen die Grund- 
anschauung des Verfassers vorbringen mussten, so können diese ihm doch nicht 
eigentlich zum Vorwurfe gereichen, da er selbstverständlicher Weise in seinem 
Buche nicht ex professo den Rechtsbegriff behandeln will, sondern nur eine 
Theorie vertritt, die sich in ganz merkwürdiger Weise der englischen Juristen 
überhaupt bemächtigt hat !). Doch zeigt es uns klar, wie sehr die juristische 
Principienlehre der Durcharbeitung bedarf. Können in dieser Richtung die 
Engländer von uns Deutschen lernen, so scheint mir auch gewiss, dass wir 
umgekehrt von ihnen und insonderheit von dem uns vorliegenden Buche 
  
. D) Vgl. meine Besprechung von Prof. HorLann’s Jurisprudence in der 
Krit. V.-J.-Schr. für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, N. F. Bd. VII.
	        
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