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ist und in keinem Zeitpunkt ihres Bestehens eine sehr erhebliche Aenderung
erfahren hat, zudem niemals niedergeschrieben worden ist. Häufig habe sich
eine Uebung einfach dem vorhandenen Bedürfnisse angepasst, ohne dass die
damit herbeigeführte Aenderung in’s Bewusstsein getreten wäre. Daher gehen
denn im Gebiete der Verfassung Theorie und Praxis, der Buchstabe des
Gesetzes und die thatsächliche Uebung oft auseinander. So steht in der
Theorie das Gesetzgebungsrecht der Crown in Parliament zu, d.h. die
Königin selbst gibt die Gesetze mit Zustimmung der Lords und Commons,
während thatsächlich das Haus der Gemeinen einen ganz überwiegenden
Einfluss auf das Zustandekommen der Gesetze übt und die Königin darauf
beschränkt ist, den gemachten Gesetzen ihre Zustimmung zu geben oder
zu verweigern. Anderseits wird die Executive der Crown in Council zu-
geschrieben, während dieselbe in Wahrheit von den Führern der im Hause
der Gemeinen herrschenden Partei ausgeübt wird und diese lediglich dem
Parlament verantwortlich sind.
In dieser Weise ist der Verfasser auf den Gegensatz zwischen Legis-
lative und Executive gekommen. Diesen Umstand benützt er, um zu betonen,
dass allmählich die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt (ursprünglich
beide in Händen der Crown in Council) vollständig getrennt worden seien
und jetzt die erstere dem Parlamente zustehe, die Executive hingegen vom
Ministerium ausgeübt werde. Indem der Verfasser ferıter stillschweigend
Legislative und Parlament mit einander identificirt, handelt er in dem uns
vorliegenden ersten Bande vom Parlament, während ein zweiter Band der
Lehre von der Executive vorbehalten ist. Die Vorstellung, von welcher der
Verfasser hier geleitet wird, ist allem Anschein nach die, dass der begriff-
liche Unterschied von Gesetzgebung und Verwaltung vollständig mit dem
bestehenden Gegensatze zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt
zusammenfalle, eine Vorstellung, die thatsächlich, wie wohl allgemein bekannt
ist, nicht zutrifft. U. E. würde es wesentlich zur Klarheit beigetragen haben,
wenn der Verfasser vor Allem versucht hätte, die Natur der Gesetzgebung und
Vollziehung festzustellen, und sodann auf dieser Grundlage die Wirkungssphäre
des Parlaments von jener der Executivbehörden zu scheiden unternommen
hätte. Dann wäre die Aufmerksamkeit des Lesers von vorneherein auf die
wichtige Thatsache gerichtet worden, dass das Parlament nicht nur gesetz-
gebende, sondern auch zahlreiche Funktionen verwaltender und richterlicher
Art habe, sowie dass andererseits dem Kabinet, d. h. also der Executive im
Sinne des Verfassers, mitunter das Recht zustehe, Vorschriften zu erlassen,
die in ihrer Natur durchaus den sog. Gesetzen gleichstehen.
Die nunmehr folgenden Kapitel (TIV—X) sind der Darstellung der eigent-
lichen Aufgabe gewidmet. Demgemäss behandelt Kap. IV zunächst die Zu-
sammenkunft des Parlaments, die Ladungen, die Eröffnung, Vertagung,
Prorogation und Auflösung des Parlaments, während die beiden folgenden
Abschnitte (Kap. V u. VI) ein klares Bild der Zusammensetzung der beiden
Häuser und der besonderen Rechte (priviledges), die jedem derselben zustehen,
gewähren. Namentlich verdient die grosse Uebersichtlichkeit, welche die Dar-
stellung des complicirten Wahlrechtssystems in seinem Zusammenhange mit dem
älteren Rechte auszeichnet (pp. 89—108), gerühmt zu werden. Dem Prozess
der Gesetzgebung ist ein eigenes Kapitel (VII) gewidmet, das durch Wieder-
gabe der üblichen Formeln und Auszüge aus den Protokollen der beiden