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tuirt sei, durch welche die Erhaltung des Staates und die Kontinuität seiner
Entwicklung gesichert werden, 2. dass die staatliche Ordnung Raum lasse
für die Erreichung der Individualzwecke, als welche Freiheit, Gerechtigkeit
und Wohlstand bezeichnet werden, und 3. dass die Staatsbürger zur möglichst
umfassenden Mitwirkung bei der Regierung herangezogen würden. Im Lichte
dieser Kriterien prüft schliesslich der Verfasser die einzelnen Regierungs-
formen, um zu dem Ergebniss zu gelangen, dass nur der governo parlamentare
die Gewähr der Erfüllung jener Erfordernisse gebe.
Dies in Kürze der Inhalt des Buches; er gehört theils dem Gebiete
des Staatsrechts, theils dem Gebiete der Politik an. Wir sind mit den
Ausführungen nicht überall einverstanden. Der an die Spitze des zweiten
Abschnitts gestellte Satz, dass die Souveränetät stets dem Volke zustehe,
wenngleich häufig in unbewusster, äusserlich nicht hervortretender Form, hat
nur die Bedeutung einer politischen Meinung und kann u. E. nicht als
Grundlage für eine rechtswissenschaftliche Behandlung der Staatsformen
dienen. Das Recht hat es überall nur mit dem bewussten, lebendig gewor-
denen Willen zu thun; ein latenter Wille ist für die rechtliche Betrachtung
nicht vorhanden. Eine Folge des vom Verfasser genommenen Standpunktes
ist es, dass ihm der Begriff der Monarchie ganz verloren geht: wir finden
zahlreiche monarchische Formen analysirt, nirgends aber eine Begriffsbestim-
mung der Monarchie. Auch die Bemerkungen über den Werth des governo
parlamentare möchten wir nur mit Vorbehalt unterschreiben. Der Ver-
fasser wendet sich mit Energie gegen die sovranitä parlamentare und sieht
anderseits im governo parlamentare sein Staatsideal verwirklicht: welches
aber ist die Linie, welche beide von einander trennt? Diese Ausstellungen
hindern uns nicht, den vollen Werth der Abhandlung anzuerkennun, welche
auf kurzem Raum eine Fülle interessanten Materials in durchweg geistvoller
Beleuchtung bringt, und von einer warmen Empfindung für die Bedeutung
des staatlichen Seins getragen ist. Haben wir es doch mit Fragen zu thun,
welche, so lange es Menschen und Staaten geben wird, niemals zu einer
allbefriedigenden Lösung geführt werden können. 1,
eoni.
Max Seydel, Bayerisches Staatsrecht. Erster Band IX. und 658 S.
München 1884. Zweiter Band V. und 581 S. München 1885.
Das vorliegende — noch nicht abgeschlossene — Werk ist nicht
nur die bedeutendste Leistung auf dem Gebiete des so vielfach bearbeiteten
bayerischen Staatsrechts, es ist eine der hervorragendsten Erscheinungen der
gesammten deutschen staatsrechtlichen Literatur der neuesten Zeit. Durch
Fülle des Materials und eingehende Erörterung der Details für die Praxis
in Bayern von grossem Werthe, hat es durch die streng juristische Methode,
die in ihm zu Tage tritt, durch die zutreffende Lösung, welche vielen die
modernen Staaten gleichmässig interessirenden Fragen gegeben wird, eine
Bedeutung, welche weit hinausragt über die Grenzen der Wissenschaft des
bayerischen Staatsrechts.
Einem so grossartig angelegten Werke gegenüber hat die Kritik einen
schweren Stand. Es kann nicht ihre Aufgabe sein, Schritt für Schritt jede
Einzelheit zu verfolgen; es ist vielmehr Sache der gesammten Literatur der