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Ein gesundes praktisches Gefühl hält indessen den Verfasser davon ab, das
deutsche Reich und sein Recht als einen Appendix der bayerischen Krone
und ihrer Herrschergewalt darzustellen. Ebenso sind die Bemerkungen über
den deutschen Reichstag, welche der Lehre vom Landtage und die über
die Reichsbehörden, welche den Untersuchungen über die Landesbehörden
nachfolgen, nur andeutungsweise gehalten.
Der erste Band enthält im ersten Buche die Lehre vom Herrscher.
Und zwar werden hier Natur und Inbalt der königlichen Gewalt, die könig-
lichen Ehrenrechte, die königlichen Vermögensrechte, das Thronfolgerecht,
die Haus- und Familiengewalt des Monarchen und die Regentschaft und die
Stellvertretung des Königs in eigenen Abschnitten erörtert. Methode und
Resultate dieser Untersuchungen sind vielfach von hohem Werthe für die
richtige Erkenntniss der rechtlichen Natur monarchischer Institutionen über-
haupt. Der publieistische Gesichtspunkt ist überall mit der grössten Schärfe
durchgeführt. Die „Eierschalen des Privatrechts“, welche diesen Lehren bis
auf die neueste Zeit herab in der Literatur mehr oder weniger anhaften,
sind bis auf die letzte Spur beseitigt. Zudem ist eine so eingehende Er-
örterung aller in die betreffenden Gebiete einschlägigen Fragen bisher in
keiner Bearbeitung eines positiven Staatsrechts vorgenommen worden, so dass
die SEYDEL’schen Ausführungen geradezu als mustergiltig für jede zukünftige
Erörterung dieses hochwichtigen Theils des öffentlichen Rechts erscheinen.
Gerade die jüngsten Ereignisse im bayerischen Königshause haben den grossen
praktischen Werth eindringlichster Untersuchung aller juristischen Möglich-
keiten auf dem Gebiete des Monarchenrechts gelehrt und der ausgezeichneten
Darlegung der Rechtssätze über die Regentschaft von Seiten SEYDEL's ist
gewiss ein nicht geringer Antheil daran zuzuschreiben, dass das Bewusstsein
von der Legalität der Lösung, welche die schwere Krise in Bayern gefunden
hat, in die weitesten Kreise gedrungen ist.
Das zweite Buch handelt nach der eigenthümlichen Systematik des
Verfassers von den „Gegenständen der Herrschaft“, d. h. von den Staats-
angehörigen und vom Staatsgebiete. Der Abschnitt von den Staatsangehörigen
handelt zuvörderst von dem Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit.
Selbstverständlich ist es grossentheils nicht Landes-, sondern Reichsrecht,
was er hier vorträgt. Sehr beachtenswerth ist der folgende Paragraph, der
die Wirkungen der Staatsangehörigkeit erörtert. Mit vollem Rechte
deducirt er aus dem Unterworfensein der Staatsangehörigen unter die Staats-
gewalt die eine allumfassende Gehorsamspflicht derselben und erklärt sich
gegen das unsystematische Verfahren, die einzelnen Verbindlichkeiten, welche
aus der Gehorsamspflicht folgen, der Reihe nach aufzuzählen und zu erörtern,
indem er auf die Analogie der Gehorsamspflicht mit dem ihr correspondirenden
Herrschaftsrecht hinweist, welches durch Aufstellung eines Verzeichnisses der
einzelnen Hoheitsrechte sicherlich nicht erklärt wird. Treffend bemerkt er,
dass ein derartiges Verfahren sich zu einer Rundreise durch das gesammte
Bereich des Staatsrechts gestalten würde.
Die Staatsangehörigkeit ist nach SEYDEL kein Recht, sondern ein Rechts-
verhältniss, das der Unterthänigkeit unter die Staatsgewalt. Sie ist Voraus-
setzung einer Reihe von Rechten, eine rechtliche Thatsache, an welche die
Rechtsordnung vielfach anknüpft. In seinen Ausführungen hierüber, wie
schon in seiner allgemeinen Staatslehre häufig an GERBER'sche Ansichten an-