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rend sie in Bezug auf die Missgriffe der parlamentarischen
Körper ruhig auch Kameele verschlucken ®°).
Im Gegentheil die conservativen Parteien die dem Referen-
dum anfänglich weniger geneigt waren, scheinen allmählich be-
griffen zu haben, dass sich dasselbe auch für ihre Zwecke gut
verwenden lasse und würden die Beseitigung schwerlich befürworten
wollen. Fast bei allen bisherigen Abstimmungen hat es sich
wenigstens gezeigt, dass eine Verwerfung ohne Zuthun der
conservativen Parteien nicht zu Stande kommt. In St. Gallen
z. B. ist die Einführung des obligatorischen Referendums ein
Postulat der ultramontanen Partei. Umgekehrt bestehen öfter
Anregungen, das facultative Referendum in ein obligatorisches um-
zuwandeln, oder ihm die sogenannte Initiative beizufügen, wie
diess nunmehr bei den Oantonen vorherrschend der Fall ist °°),
Anregungen, von denen im Falle einer gesetzgeberischen Vorlage
(die dermalen noch nicht erzwungen werden kann) wenigstens
die letztere Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Gegen das obliga-
torische Referendum walten im Bundesstaate Bedenken, die wir
später begründen werden.
Die Resultate des Referendums in den einzelnen
Cantonen lassen sich nicht so leicht mittheilen, und sind natür-
lich auch sehr verschieden zu beurtheilen, nach Art der Bevölke-
rung und Zeit des Bestandes dieser Einrichtungen. In dem
classischen Lande des Referendums, Graubünden, dem einzigen
Gebiete der Schweiz, in welchem dasselbe seit Beginn dieses
Staatswesens beinahe ohne jede Unterbrechung bestanden und so
zu sagen unvermerkt mit dem Staate selber aus seiner älteren
Gestalt und Bedeutung in die moderne, eigentlich grundverschie-
dene, übergegangen ist, sind die Erfahrungen im Ganzen nur
günstig, selbst wenn man die alte Zeit mit in Rechnung ziehen
®) Ein bekanntes und oft citirtes Bonmot eines prinzipiellen Gegners
des Referendums ist, dass es die „Phylloxera der Demokratie“ sei. Es trifft
insoferne zu, als die Phylloxera auch mit Vorliebe ausgelebte, übereultivirte
Weinstöcke zu ergreifen scheint, die der Verjüngung nicht mehr fähig sind.
%) Wenn wir die Landsgemeinde- Cantone, in denen Anträge gestellt
werden dürfen, wie billig dazu nehmen, so besteht die Initiative jetzt in
15 Cantonen. Vgl. pag. 247 und folgende.