— 395 —
wir für Jeden, der die St. Gallische Geschichte kennt, die Frage
offen, ob das dem Jahre 1831 vorangehende Regiment ein glück-
licheres gewesen sei®). Wir könnten zum Schlusse, auch ohne
jede Vorliebe für die Demokratie, nicht verschweigen, dass das po-
litische Leben derjenigen Cantone, die noch keine Volksabstim-
mung besitzen (dermalen Freiburg allein), oder dieselbe erst seit
kurzem mit dem Repräsentativsystem vertauscht haben (Tessin),
keinen Beweis für die Vorzüglichkeit desselben bildet °”).
Die Volksabstimmung kommt in der schweizerischen Eid-
genossenschaft und in ihren 22, resp. 25, Cantonen®®) in sehr
verschiedenen Formen vor, die bei den öfteren Verfassungsrevisionen
der Oantone, denen keine grosse Bedeutung mehr beigemessen
wird, leicht übersehen, oder verwechselt werden können. Gegen-
wärtig bestehen, der officiellen Aufzählung der Oantone folgend,
in deren Verfassungen folgende Einrichtungen °°), für deren Dauer
96) Wer sich dafür näher interessiren sollte, findet einen guten Aufschluss
in einer neuen Biographie des früheren „leitenden Staatsmannes“ der St.
Galler, CArı MÜLLER-FRIEDBERG, von Prof. DIERAUER in St. Gallen und in
der bereits wiederholt citirten Broschüre von TH. CvrtTı „Geschichte der
Schweiz. Volksgesetzgebung“, welche diese St. Gallischen Verhältnisse mit
besonderer Ausführlichkeit behandelt. Von dem gleichen Verfasser ist
darüber noch zu lesen „Zur Geschichte der Volksrechte. St. Gallische Er-
innerungen“ 1881.
9) In Freiburg wählt die Regierung sogar die Gremeindevorsteher, was
ganz einzig in der Schweiz dasteht. In Tessin wurde bei der ersten Volks-
abstimmung nach Erlass des Verfassungsdecretes von 1883 das Gesetz über
die Flusscorrection des Tessin verworfen.
9%) Die sogenannten Halbcantone sind staatsrechtlich in ihrem innern
Leben vollkommen souveräne Gemeinwesen, mit eigenem Bürgerrecht,
eigener Gesetzgebung und Justiz, ohne allen staatsrechtlichen Zusammenhang
zwischen beiden Landestheilen. Dass sie nicht als selbstständige Cantone
gezählt werden, beruht auf historischen Gründen und auch auf der Abneigung,
die Kleinstaaterei im Ständerath noch zu verstärken. Sie besitzen dort nur
je einen Vertreter, nicht zwei, wie die ganzen Cantone. Jeder derselben ist
aber völlig selbstständig in der Stimmgebung.
®) Darnach sind die Angaben in dem neuesten Abriss des schweizeri-
schen Staatsrechts von ORrkELLI in Marquardsen’s Sammlung in einzelnen
Puncten zu revidiren. Graubünden z.B. besitzt die Initiative schon seit 1880,
die dort noch vermisst wird (pag. 103). Bei Srüssı ist die Veränderung des