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torischen Referendum weniger, oder gar nicht die Rede. Man hat
zum Voraus die Sicherheit, dass die Repräsentanten des Volkes
demselben alle ihre gesetzgeberischen Werke vorlegen werden, es
sich also seines Rechts nicht selbst zu erwehren braucht, und diese
Abstimmungen gehen nach und nach, sobald sie einmal sich etwas
eingelebt haben, selbst bei wichtigen Angelegenheiten mit einer
äusseren Ruhe vor sich, die im Gegensatz zu den „Vetostürmen“
sehr wohlthätig und vertrauenerweckend wirkt.
Dagegen wäre nach unserem Dafürhalten das obligatorische
Referendum in dem Bundesstaate nicht ohne eine tiefgreifende
Veränderung desselben durchführbar. Es hat zu seiner Voraus-
setzung ein einheitlich organisirtes Volk, welches das Souveränitäts-
recht der gesammten Gesetzgebung auf seinem Territorium un-
zweifelhaft besitzt und es nun selbst, statt durch Vertretung, aus-
zuüben beabsichtigt. In dem Bundesstaate aber ist, wenigstens nach
der jetzigen Eidgenössischen Verfassung !%*) und der vorherrschen-
den Meinung, ein solches einheitliches Volk überhaupt nur für
grössere Aeusserungen des staatlichen Lebeus, namentlich dem Aus-
lande gegenüber, vorhanden, im Innern hingegen, besonders für
die innere Gesetzgebung, Administration und Rechtsprechung
bestehen, wie der erste Artikel der schweizerischen Bundesver-
fassung es ausdrücklich und wörtlich erklärt, nur „durch den
Bund vereinigte Völkerschaften von zweiundzwanzig souveränen
Cantonen“. In der Bundesversammlung, wie sie bis 1874 vor-
handen war, war die Gefahr nicht gross, dass dieselbe ihre gesetz-
geberischen Befugnisse über diejenige Grenze ausdehnen werde,
die ihr durch die praktisch vorhandene 'Thheilung der Souveränitäts-
rechte vorgeschrieben ist, indem zu jedem Bundesbeschlusse die,
auf keine Weise erzwingbare, Zustimmung des Ständeraths gehört,
in welchem alle Cantone ganz gleichmässig vertreten sind. Sobald
10) Dieselbe beruht noclı unbedingt auf dem, zwar wie’ wir wohl wissen
theoretisch heutzutage etwas erschütterten,, alten System der sogenannten
„getheilten Souveränität“, das rein praktisch genommen, auch den Verhält-
nissen besser entspricht, als die logisch richtigere Auffassung der neueren
Publizisten. Der Art. 3 der Bundesverfassung lautet: „Die Cantone sind
souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt
ist und üben als solche alle Rechte aus, welche nicht der Bundesgewalt
übertragen sind“.