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ihrerseits hingegen lassen diesen Grundsatz meistentheils ganz
ruhig und ohne Bestreitung gelten, gehen aber dessenungeachtet
mit der unbefangenen Dreistigkeit des Realisten, der alle politische
Logik verachtet, sofort dazu über, darzuthun, dass diese Macht
ihre opportunen Grenzen haben müsse, die sie dann zuweilen so
eng ziehen, dass zwischen diesen Grenzpfählen nur noch ein sehr
schmaler Streifen „Macht“ übrig bleibt 129).
Uns scheint, dieses ganze, allgemein anerkannte, Dogma von
der Volkssouveränität in der Republik beruhe auf einem Irrthum,
ebensosehr wie die Lehre von der in einer einzelnen Person (viel-
leicht sogar einem Kinde oder einem Irrsinnigen) verkörperten
Souveränität in Monarchieen. Schon der Umstand müsste eigent-
lich auf eine andere Theorie hinweisen, dass ein so wichtiges
Attribut, ja man müsste wohl eigentlich sagen nicht ein Attribut,
sondern die Essenz eines Staates, das was ihn eigentlich aus-
macht und von jeder anderen Art von menschlicher Gemeinschaft
unterscheidet, doch nicht im Einen Staate so gänzlich verschieden
von dem anderen organisirt sein kann. Sehen sich doch sonst
heutzutage die gewöhnlich vorkommende, constitutionelle Monarchie
und die gewöhnliche, repräsentativ organisirte Republik fast zum
Verwechseln ähnlich in allen eigentlich wichtigen Lebensfunctionen
und dennoch sollte ein so ungeheurer Unterschied in Bezug auf
die Frage der Souveränität zwischen Belgien und Holland einer-
seits und der Schweiz und Frankreich andererseits obwalten?
Wir wollen auf die letzten Consequenzen der monarchischen Souve-
ränitätslehre, die vor Kurzem noch in einem schrecklichen Bei-
spiele Jedermann vor Augen standen, hier nicht eingehen. Die
uns geläufige Souveränität des Volkes ist aber doch auch eine
sehr sonderbare, wenn das „Volk“ aus einem Vierttheil höchstens
der Staatsbürger besteht, wenn alle Minorennen, alle Frauen, alle
Falliten, nach früheren Einrichtungen sogar vielfach alle Nicht-
bürger einer Gemeinde, selbst wenn sie Staatsbürger waren, that-
sächlich als nicht zum Volke gehörend erscheinen, und wenn end-
lich dieses so stark reduzirte Volk seine „Souveränität“ höchstens
alle 2—3 Jahre mittelst Wahlen von Repräsentanten, oder nur
180%) Vgl. z. B. die Zusammenfassung der Reden der Revisionszeit bei
CouRTı, namentlich u. A. die bedeutendsten von Escher und Welti auf pag. 279.