Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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unteren Classe sich befinde. Im Gegentheil, wir hegen die auf 
vielfacher Erfahrung beruhende vollendete Ueberzeugung, dass sich 
unter derselben, namentlich in einem altrepublikanischen Staate, 
ein viel grösserer Prozentsatz derjenigen Menschen finde, wie sie 
eigentlich für ein Gemeinwesen und seinem dauernden Bestand am 
allerunentbehrlichsten sind. Die besten Menschen, die wir in 
unseren heutigen Staaten haben und durchschnittlich auch die 
einsichtigsten, verständigsten, arbeitsamsten, geduldigsten, mit 
ihrem Loose zufriedensten, befinden sich kaum unter den „hohen 
Herrschaften“, oder den Reichen, oder Gelehrten, sondern viel 
wahrscheinlicher unter dem sog. kleinen Volke, das mühsam von 
seiner Hände Arbeit lebt. Es sind nicht nur die „Heiligen“, die 
vorzugsweise in dieser Classe wachsen, sondern nach unserer 
Ueberzeugung auch die Verständigen, mit sich selbst Einigen, 
wahrhaft Weisen dieser Welt und Jeder, der dieselben nicht 
kennt und ihre Bekanntschaft nicht sucht und hochschätzt, der 
entbehrt für sich selbst ein nicht zu übertreffendes Bildungsmittel 
und kennt überhaupt die wirklichen Zustände und Bedingungen, 
ja die wirklichen Genüsse dieses Lebens nicht. Sehr viele der 
sogenannten Gebildeten leben aber eben von Jugend auf bis zu 
ihrem Tode in einer ganz künstlichen, im Grunde sehr engen 
und kleinlichen, Welt und lernen von ihren Mitlebenden auch nur 
diejenigen kennen, welche in dem gleichen Gewächshause ein- 
gesperrt sind. Ja sie setzen sogar einen besonderen Werth auf 
eine solche Abschliessung und Gefangenschaft, die sie „Exclusivität“, 
„Distinction“ nennen, deren Oede sie allerdings öfter instinctiv ın 
dumpfer Langeweile empfinden '?*). Sie würden nicht blos glücklicher 
einer Classe in die andere muss möglichst erleichtert und die Selbstachtung der 
sogenannten untern Classen erhöht werden, die ebenso nothwendig und in 
ihrer Art und Weise und für ihren Beruf oft sogar ebenso gebildet, unter 
allen Umständen aber ebenso aller Ehren werth sind, als die oberen. Sie 
brauchen sich eben beide gegenseitig, der Eine nicht weniger als 
der Andere und nur aus diesem Contact entsteht die wahre Bildung und 
die wahre Wohlfahrt des Staates, weder aus einer bloss geträumten allgemeinen 
Gleichheit, die sich nie verwirklichen lässt, noch aus der dermalen vorhan- 
denen, von gegenseitigem tiefem Misstrauen erfüllten Abschliessung. 
134) Mitunter bloss kommt ihnen, etwa in Ferienaufenthalten, oder ausser- 
halb des eigenen Landes, der Gedanke, „mit dem Volke zu verkehren“, oder
	        
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