Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

— 455 — 
geben jedoch zu, dass jenen in Gtesetzesform erlassenen Ver- 
fügungen, durch welche, entgegen dem allgemeinen Rechtszustande, 
auch nur ein bestimmtes Rechtsverhältniss, sei es zum Vor- 
theile, sei es zum Nachtheile einer Person oder einer Gruppe von 
Rechtssubjekten geregelt wird, der Charakter von Rechtsnormen 
nicht abgesprochen werden könne ®). Wir möchten sohin auch 
nicht läugnen, dass solche Verfügungen ein wahres Gesetz reprä- 
sentiren, verlangen aber, dass sich die Verfügung thatsächlich 
auch äusserlich als eine solche darstelle, die nicht in Gemäss- 
heit des allgemeinen Rechtszustandes, sondern geradezu gegen 
denselben erlassen wurde. Auf das Letztere werden wir noch 
später zurückkommen. 
Worin besteht nun also die Discrepanz der Anschauungen ? 
Lediglich darin, dass von der einen Seite behauptet wird, der 
Staatsvoranschlag enthalte wirkliche Rechtssätze, wäh- 
rend dies von der anderen Seite entschieden in Abrede gestellt 
wird. Untersuchen wir, welche Anschauung den thatsächlichen 
Verhältnissen entspricht. 
Vor Allem ist nicht in Abrede zu stellen, dass das sog. 
Finanzgesetz in der That Rechtssätze enthalten kann. So ist 
jener Theil des Staatsvoranschlags, durch welchen den Staats- 
bürgern eine in den bisher massgebenden Normen nicht statuirte, 
6) In dieser Hinsicht modificiren wir unsere Ausführungen in dem 
Aufsatze: „Das richterliche Prüfungsrecht in Ansehung der Giltigkeit von 
Gesetzen, Verordnungen und Spezialverfügungen (Samitsch’s Zeitschr. für 
Verwaltungsrechtspflege, III. Bd. [1879], S. 3 ff. Die von uns daselbst 
anerkannte und besonders von Zorn (in Hirth’s Annal. 1885, 8. 304) betonte 
Unmöglichkeit, vom allgemeinen Standpunkte aus den Begriff des Gesetzes 
gegenüber jenem der Verordnung gegenständlich abzugrenzen, kömmt 
hier weiter nicht in Betracht. Denn daraus, dass in der constitutionellen 
Monarchie eine allgemein verbindliche Norm nur dann als Gesetz bezeichnet 
werden kann, wenn selbe mit Zustimmung der Volksvertretung erflossen ist, 
folgt nicht, dass alle unter Beobachtung dieser Form zu Stande gekommenen 
Akte auch wirkliche Gesetze seien. Es ist Sache des positiven Verfassungs- 
rechtes, zu bestimmen, ob die vollziehende Gewalt auf Ausführungsverord- 
nungen beschränkt sein, oder auch berechtigt sein solle, eventuelle Lücken 
der Gesetzgebung auszufüllen, beziehungsweise in welchem Umfange Letzteres 
statthaft sei. Keinerlei positive Anordnung kann hingegen einen Vollzugsakt 
zu einem wahren Gesetze machen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.