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Und nachdem andererseits auch von uns zugegeben wird,
dass jene Steuern und Giebigkeiten, welche durch das Finanz-
gesetz neu auferlegt werden, nicht erhoben werden können, inso-
lange das Letztere nicht zu Stande gekommen ist, so beschränkt
sich die Controverse auf die Frage: Können die durch ander-
weitige Gesetze statuirten Abgaben während der Etats-
periode eingehoben werden, insolange das Finanzgesetz
für die betreffende Periode nicht zu Stande gekom-
men ist? |
Diese Frage glauben wir im Allgemeinen in (Gremässheit
unserer obigen Ausführungen entschieden bejahen zu müssen.
Eine Ausnahme wäre nur für den Fall zuzugestehen, wo die Ver-
fassung ausdrücklich bestimmt, dass auch die durch allgemeine
Gesetze verfügte Statuirung von Steuern und Abgaben nur für
die Etatsperiode Gültigkeit habe, wo also die erwähnten all-
gemeinen Gesetze den Staatsbürgern eigentlich keine Verpflich-
tung auferlegen, sondern nur gewisse Schablonen festsetzen, auf
welche in dem Finanzgesetze, dem eigentlichen Rechtsgrunde der
Verpflichtung der Staatsbürger zur Leistung von Abgaben in der
betreffenden Periode, der Kürze halber lediglich Bezug genommen
wird ?°), Staaten, in welchen derartige Bestimmungen in Geltung
sind, werden aber auch gewiss über kurz oder lang genöthigt
sein, zum Prinzipe der Regalien zurückzukehren, beziehungsweise
die Zahl der staatlichen Monopole in so ausgiebiger Weise zu
vermehren, dass durch den Ertrag derselben die unabweislichen
Bedürfnisse des Staates vollständig gedeckt werden. Es ist kaum
in Abrede zu stellen, dass das Bestreben nach Vermehrung der
staatlichen Monopole in Deutschland zum grossen Theile seine Er-
klärung in dem Umstande findet, dass vielfach versucht wurde, ein-
zelne deutsche Verfassungsurkunden im Sinne der in dieser Hinsicht
allerdings unzweideutigen belgischen Verfassungsbestimmung aus-
zulegen ??).
20) Hieher gehört insbesondere die so oft angerufene Bestimmung des
8 111 der belgischen Verfassungsurkunde: „Les impöts au profit de
l’etat sont votes annuellement. Les lois, qui les etablissent,
n’ont de force que pour un an, si elles ne sont renouvelees.“
21) Vgl. über die diesbezüglichen Auslegungen und die Ausführungen