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auf die er im methodischen Processe des Wägens, Messens und
Vergleichens nicht verzichten kann noch will. Die Menschheit
muss, heisst es weiter, im Laufe ihrer Entwickelung doch zu
einigen bestimmten Resultaten, zu feststehenden Krystallisations-
formen gelangt sein, gleichviel ob deren Zahl gross oder klein
ist — um welche sich in irgend welcher Form das Flüssige, Un-
gebundene der Lebensphänomene zu gruppiren vermag. Bedenklich
sei es allerdings, wenn Moralisten allen ihren Rechts- und
Sittlichkeitsprincipien eine unzweifelhafte Gewissheit a priori vin-
diciren, ebenso bedenklich aber, jene primären und erprobten
Erhaltungsbedingungen jedes gesellschaftlichen Verbandsverhält-
nisses in einer alles negirenden und erschütternden Skepsis
untergehen zu lassen. Bedenklich sie, trotzdem sie sich als das
Resultat einer vieltausendjährigen und tausendfältigen Erfahrungs-
kette darstellen, als schlechthin werthlose und unzuverlässige,
aprioristisch speculative Bildungen zu charakterisiren. Diesem
Irrthum verfalle die Mehrzahl der Anhänger der ethnologischen
Methode und man könnte sein Wirken bei Post nicht minder
genau nachweisen, wie bei DARGUN, KOHLER, BACHOFEN, GUM-
PLOWICZ u. 2.) ...
Post lehne die Annahme eines dem Menschen angeborenen
absolut und objectiv Guten ab, ebenso die Annahme unser sitt-
liches und rechtliches Bewusstsein sei ein untrüglicher Maassstab
für Gut und Schlecht, Recht und Unrecht, er wolle erst aus den
Erscheinungsformen des etkischen und rechtlichen Bewusstseins
der Menschheit in den Sitten aller Völker erkennen, was gut und
recht sei und auf diese Weise bestimmen, welche Bewandniss es
mit unserem eigenen sittlichen Bewusstsein habe. — Diese Auf-
gabe, welche sich Post stellt, übersteige menschliche Kräfte.
Ueberdies zeige sich die Unausführbarkeit des Programms, allen
theoretischen Vorsätzen zum Trotze spielten nämlich die perhor-
rescirten aprioristischen Vorstellungen hinein und beeinflussen die
*%) Wir machen darauf aufmerksam, dass hier die „primären und
erprobten Erhaltungsbedingungen jedes gesellschaftl. Verbandes* als Re-
sultate einer Entwickelung u. zw. einer vieltausendjährigen Entwickelung
dargestellt werden. Dies stimmt mit unserer eigenen Ansicht. Unser Wunsch
ist es zu zeigen, was vor und während dieser Entwickelung war.