Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zweiter Band. (2)

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suchung bilden. Die ethischen Ideen, ihre Macht und ihren 
Einfluss wollen wir keinen Augenblick verleugnen, aber daraus 
folgt nicht, dass wir sie beständig im Munde führen und anwenden, 
wo sie dem wissenschaftlichen Zweck nicht dienen. KoHLER hat 
ihnen in seinem „Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz“ 
und neuerlich in seiner „Menschenhilfe im Privatrecht“ eingehende 
Beachtung geschenkt, sie aber dennoch mit vollem Recht bei den 
ethnologischen Vergleichungen der Rechte nicht in die erste Reihe 
geschoben. Für die sociologische Rechtslehre ist es von hohem 
Interesse, wenn z. B. constatirt wird, die Blutrache sei ein noth- 
wendiges und allgemeines Stadium des Rechtes gewesen, sie habe 
zuerst subsidiär dann unbedingt einer Busse in Vermögenswerthen 
Platz gemacht, es sei ursprünglich ein sehr weiter, später ein 
stetig sich verkleinernder Kreis von Verwandten busspflichtig 
resp. berechtigt gewesen. Je genauer und detaillirter derartige 
Ergebnisse festgestellt sind, desto vollkommener der Erfolg der 
sociologischen Rechtslehre, es bleibt aber dafür ohne Bedeutung, 
ob die Blutrache moralisch gut oder verwerflich gewesen. 
Wäre die ethische Beurtheilung Hauptsache, und käme man 
weiter zu keinem Resultat als zu dem von STOERK (8 537) ge- 
kennzeichneten: „Jedes Rechtsinstitut fehlt in der Urzeit, in der 
Geschlechterverfassung existirt es hier so, dort so... . es giebt 
zahllose Varietäten, nirgends Einheit und Zusammenhang“; wäre 
wirklich ein unterschiedsloses Nebeneinander ganz ebenbürtiger, 
der Entwickelungsstufe nach nicht unterscheidbarer Formen das 
letzte Ergebniss der ethnologischen Rechtswissenschaft, dann 
allerdings wäre ihr Dasein ein jammervolles und schade wäre es, 
an sie Zeit und Mühe zu wenden. Dem Juristen wäre es dann 
entschieden abzurathen sich mit derartigen Phantasmagorien zu 
befassen. In Wahrheit stellen aber die erforschten Erscheinungen 
Entwickelungsreihen dar, etwa wie Keim, Blatt und Blüthe neben- 
einander befindlicher Pflanzen, der Einwurf schüttet also besten- 
falls das Kind mit dem Bade aus, indem er das thatsächlich 
Erreichte ignorirt, statt sich auf die berechtigte Warnung vor 
übereiltem Verallgemeinern zu beschränken. Hiebei dürfte ein, 
wenn auch nicht klar formulirter, so doch nicht selten auftretender 
Gedanke mitwirken: Ohne Erklärung der wirkenden Ursachen
	        
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