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unmittelbar aus den Quellen bekannten, späteren Periode zusammen-
gehalten, in hohem Grade unwahrscheinlich. Erst mit Ver-
breitung der Kaufehe werden Kinder zu Gegenständen des
Familienvermögens. Die Theorie von der Geschlechtsgenossen-
schaft ist also auch in dieser Beziehung unbefriedigend. In noch
höherem Maasse gilt dies von der dasselbe Bild ergänzenden Dar-
stellung des Häuptlingthums. In PosrT’s früheren Arbeiten wird
der Geschlechtsfürst als ein mit gottähnlicher Autorität aus-
gestatteter, über dem Geschlecht stehender Despot, Träger aller
Rechte und Pflichten des Geschlechtes geschildert, was mit den
Quellen nicht in Einklang zu bringen ist*®). In den „Bausteinen“
und „Grundlagen“ ist dieser Standpunkt wesentlich modificirt,
ein Gegensatz, der jedoch nirgends ausdrücklich markirt wird.
In dem den „Bausteinen® angefügten Uebersichtsregister, werden
vielmehr alle Schriften desselben Autors auf gleiche Linie gestellt.
In der That wird auch nach den „Grundlagen“ ?*) die Gewalt
des Geschlechtshäuptlings als eine Leib, Leben und Freiheit
. der Seinigen absolut beherrschende geschildert ®), durchgehends
werden hiebei Familienherrschaft und politische Herrschaft ohne
Unterschied durcheinander gemengt und beide Verhältnisse als
Häuptlingthum bezeichnet, obwohl sie doch, wie aus Post’s
eigener Darstellung in den „Grundlagen“ (S. 110) hervorgeht,
thatsächlich von Anbeginn an geschieden waren. Trotz des
imponirenden von Post angehäuften Materials, trotz der zahl-
reichen in seinen Schriften enthaltenen neuen und ausgezeich-
neten Ausführungen, ist also seine Lehre von der Geschlechts-
genossenschaft der Urzeit so wenig überzeugend, dass sie keines-
falls der sociologischen Rechtslehre als solcher zugeschrieben
werden darf?%).. Wie wenig dadurch eine Eintwickelungsge-
schichte der einzelnen Institutionen ausgeschlossen wird, beweisen
zur Genüge die zusammenfassenden Berichte KOHLER’s, WILKEN’S
und Posr’s?”). STOERK befindet sich daher im Irrthum, wenn
282) Vgl. Geschl. gen. d. Urz. S. S. 13, 130 £., Urspr. d. Rechts S. 33,
Geschl. gen. d. Urz. 147, Urspr. d. R. 80.
#2) S. 821. *) 1. c. 116, 119; 106, 113, 287.
22) Vgl. die citirte Rencension in GrünuuTs Zeitschr.
?"), 8. Konuer. Das Recht als Culturerscheinung, Würzburg 1886,