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den de facto Charakter derselben nicht auf, sondern bestimmt ihn nur näher.
Es scheint auch nicht richtig, dass die Regierung der besetzenden Macht
von der nationalen von dem Augenblicke anerkannt wird, wo sie ihr die
Verwaltung des besetzenden Gebietes überlässt, von einer solchen Aner-
kennung wird schon desshalb schwerlich die Rede sein, weil der besiegte
Staat den Krieg in der Hoffnung fortsetzt, das zeitweilig verlorene Gebiet
wiederzunehmen; die zeitweilige Aufgabei desselben ist also ebenso rein that-
sächlicher Natur wie die Besetzung seitens des Siegers und der Besiegte
entbindet seine dortigen Beamten nicht etwa ihrer Pflichten gegen ihn,
sondern duldet nur, dass sie ihre Functionen unter seinem Gegner fortsetzen,
weil er es nicht hindern kann und es im Interesse der Bevölkerung ist.
Ruft er sie ab, wie das erwähnte Decret Gambetta’s vom 1. Nov. 1870 that,
so handelt er unpolitisch, aber nicht widerrechtlich. Der Besiegte steht dem
Sieger hinsichtlich des besetzten Gebietes nicht anders gegenüber als einem
Usurpator in einem Bürgerkriege, nur das Recht des Siegers ist ein anderes,
völkerrechtlich anerkanntes, aber darum doch rein thatsächliches. Ebenso
ist das Verhältniss auswärtiger Staaten zu der im Besitz eines Gebietes
befindlichen Macht in beiden Fällen dasselbe, sie wenden sich für den Schutz
ihrer dortigen Unterthanen an diese, ohne damit deren Recht auf das Gebiet
anzuerkennen, lediglich weil sie durch ihren thatsächlichen Besitz für das,
was dort geschieht, verantwortlich ist.
Was die Beamten auswärtiger Staaten betrifft, so hat Corsı unzweifel-
haft Recht, dass die Consuln im Amt bleiben, bis der Staat, welcher ihnen
das Exequatur verliehen, dasselbe zurückzieht, wenn er aber hinsichtlich der
beglaubigten Gesandten meine Behauptung bekämpft, (HErFTEr’s Völkerrecht
Franz. Ausgabe p. 490 Note 8) dass zwischen ihnen und der feindlichen
Macht keine rechtlichen Beziehungen bestehen und folglich die Gesandten
in Paris 1870 keinen freien Verkehr durch die deutschen Vorposten fordern
konnten, so entzieht er sich selbst den Boden, indem er anerkennt, dass die
Functionen dieser Agenten rechtlich (di diritto) aufhören mit der Ersetzung
der Nationalregierung durch den Sieger und seine Behauptung, dass gleich-
wohl aus Gründen der internationalen Höflichkeit letzterer sie als bei sich
beglaubigt betrachten solle, ist einmal unbegründet und sodann rechtlich
irrelevant, da Pflichten der Höflichkeit eben keine rechtliche Natur haben.
Was mit der Annahme des Wortes von HaLLEck, dass die Bewohner
des besetzten Gebietes „thatsächlich Kriegsgefangene auf Ehrenwort“ seien,
gewonnen wird, ist nicht ersichtlich. Kriegsgefangener wird man durch einen
ausdrücklichen Akt, den der Ergebung, die angenommen wird; ein solcher
zweiseitiger Akt fehlt bei jenen Einwohnern, noch weniger verpflichten sie
sich ausdrücklich zu gewissen Dingen, wie jene Gefangene durch Ehrenwort,
die deshalb auch nur durch bestimmten Akt ihrer Gefangenschaft entbunden
werden können, einseitige Entlassung des Siegers mit oder ohne Lösegeld
oder gegenseitige Auswechslung, wovon wiederum bei den Bewohnern des
besetzten Gebietes nicht die Rede ist, deren zeitweise Unterwerfung mit
dem Aufhören der Besetzung von selbst endet. Man kann überhaupt nicht
von einem stillschweigenden bedingten Ehrenwort reden; die Bedingungen
werden eben in dem Vertrag festgesetzt, durch welchen das Ehrenwort gegeben
und angenommen wird, die Verletzung desselben macht ehrlos. Jene Bewohner
übernehmen dagegen gar keine rechtlichen Verpflichtungen gegen den Sieger,