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(Loenıng) oder als die Gesammtheit derjenigen Thätigkeiten des Staates,
welche dem Einzelnen die von ihm selber durch eigene Kraft und
Anstrengung nicht erreichbaren Bedingungen seiner individuellen
Entwicklung darbieten (L. v. Stem, E. Meyer, Schulze) oder als die
Staatsthätigkeit der Verwirklichung der in der genossenschaftlichen
Seite des Staates begründeten Aufgaben (v. Sarwey) oder als vor-
beugende und zwingende Polizei nebst Staatspflege (v. STEnGEL).
Ebensowenig wie dem Einzelnen während seines Aufenthalts im
Heimathstaate ein subjektives Recht auf Armenunterstützung zusteht,
war für die Angehörigen der deutschen Bundesstaaten ein solches
ausserhalb der Grenzen ihres Staates durch den Gothaer Vertrag und
die Eisenacher Uebereinkunft geschaffen. Aus dem oben mitgetheilten
Inhalt jener Staatsverträge erhellt zur Genüge, dass die contra-
hirenden Regierungen durch deren Abschluss nicht Rechtsverhältnisse
ihrer Landesbewohner regeln, sondern, soweit es hier interessirt,
nur Zweckmässigkeitsmassregeln auf dem Gebiete der internationalen
Armenpolizei vereinbaren wollten, um „dem Uebergange ihrer Staats-
angehörigen in den Zustand der Heimathlosen vorzubeugen‘.
Es war daher ungerechtfertigt, wenn gegen den Bescheid des
preussischen Ministers des Innern vom 31. Januar 1868 auch ein-
geworfen wurde, der Gothaer Vertrag betreffe Rechte der Körper-
schaften und Staatsangehörigen. Schwerwiegend war der dritte Ein-
wand, dass in jenem Bescheide das kurz vorher in Wirksamkeit
getretene Freizügigkeitsgesetz ignorirt werde.
Der Abschnitt dieses Gesetzes, welcher die unter dem Einflusse
der Freizügigkeit vor sich gehende Verschiebung der Armenlast mit
Rücksicht auf die bereits erfolgte Niederlassung an einem Orte zu
regeln sucht, lautet:
$ 11, Abs. 2.
Wenn jedoch nach den Landesgesetzen durch den Aufenhalt oder
die Niederlassung, wenn solche eine bestimmte Zeit hindurch ununter-
brochen fortgesetzt worden, das Heimathrecht (Gemeindeangehörig-
keit, Unterstützungswohnsitz) erworben wird, behält es dabei sein
Bewenden.
85.
Öffenbart sich nach dem Anzuge die Nothwendigkeit einer öffent-
lichen Unterstützung, bevor der neu Anziehende an dem Aufenthalts-
orte einen Unterstützungswohnsitz (Heimathrecht) erworben hat, und
weist die Gemeinde nach, dass die Unterstützung aus anderen Grün-