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Das vorstehende württembergische Gesetz regelt eine der wich-
tigsten Fragen aus dem politisch bedeutungsvollen Kapitel von dem
passiven Wahlrechte der Beamten zum Parlamente, welches hier zum
Verständniss jenes Gesetzes kurz skizzirt werden mag.
Im Gegensatze zum englischen Verfassungsrechte, welches ganzen
Klassen von Beamten die Wählbarkeit zum Unterhause versagt
(v. Mouı, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I S. 346), sowie
zu den französischen Verfassungen von 1791 und 1848, welche grund-
sätzlich den Beamten — die erstere unter Ausschluss der Richter —
für unfähig in den gesetzgebenden Körper gewählt zu werden erklären,
haben die deutschen Grundgesetze im Allgemeinen diesen Rechtssatz
— ungeachtet dahingehender politischer Strömungen (ZoerrL, Grund-
sätzee des gemeinen deutschen Staatsrechts, 5. Aufl, Bd. II,
S. 281) -—— nicht aufgenommen; nur die württembergische ($ 146)
und badische (8 37) Verfassungsurkunde sowie das hessische Wahl-
gesetz vom 8. Nov. 1872 (Art. 15) (Stoerk, Handbuch der deutschen
Verfassungen S. 189, 216, 257) sprechen den Staatsdienern das pas-
sive Wahlrecht innerhalb ihres Amtsbezirkes ab.
Bedeutete nach dem Zeugniss ZorprrL’s die Gewährung des pas-
siven Beamtenwahlrechts in den deutschen Verfassungsgesetzen einen
Sieg über die demokratische Richtung, welche das englisch-französische
Vorbild wegen der zu vermuthenden ministeriellen Bestrebungen der
Beamten nachahmen zu müssen glaubte, so verwandelte sich doch
binnen kurzem der politische Charakter der ganzen Frage der Wahl-
fähigkeit des Staatsdieners, als die unerwartete Erscheinung hervor-
trat, dass eine grössere Anzahl von Beamten Abgeordnete der Oppo-
sitionsparteien wurden ‘).
*) Die letztere Erfahrung hat neben der Befürchtung partikularisti-
scher Bestrebungen nach den Worten des Präsidenten der Bundescommis-
sarien, damaligen GRAFEN v. Bismarck, zu der auf den ersten Blick befrem-
denden Thatsache geführt, dass der Entwurf zur Reichsverfassung, gegen
den der Vorwurf erhoben worden ist, dass er „einen ziemlich reak-
tionären Stempel an der Stirn trage“ (Rede des Abg. GRUMBRECHT, Steno-
graphische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des nord-
deutschen Bundes i. J. 1867, Bd. I S. 424), sämmtliche „Beamte im
Dienste eines der Bundesstaaten“ von der Wählbarkeit zum Reichstage
ausschloss (Art. 21 Satz 2; Anlagen zu dem sten. Ber. 1867, $. 13 und
Rede Bısmarcr’s in den sten. Ber. a. a. O. S. 430). Jetzt war es gerade
die linke Seite des Hauses, welche eine völlig unbeschränkte Zulas-