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lieber vermieden gesehen, wenn ich auch zugestehen muss, dass der
Verfasser mit dem Gebrauch desselben eine falsche Vorstellung nicht
verbindet.
Aber ich halte auch die materielle Anschauung des Verfassers,
dass die Reichsverfassung eine dauernde Festsetzung der Friedens-
präsenzstärke ohne Zeitbeschränkung fordere, für nicht zutreffend.
Es kommt dabei auf die Interpretation des Schlusssatzes des Art. 60
an: „Für die spätere Zeit wird die Friedenspräsenzstärke des Heeres
im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt.“ An diese Worte
knüpfen sich zwei Streitfragen an: erstens kann die Feststellung
der Friedenspräsenzstärke auch durch den Reichshaushaltsetat oder
muss sie stets durch ein besonderes Gesetz erfolgen, und zwei-
tens muss im letzteren Falle das Gesetz ein dauerndes sein,
welches so lange gilt, bis es durch ein anderes Gesetz wieder auf-
gehoben ist, oder kann dasselbe auch auf Zeit erlassen werden?
In Bezug auf die erstere Frage habe ich mich schon früher (Lehr-
buch des deutschen Staatsrechtes S. 593, Anm. 5) dahin geäussert,
dass ich eine Feststellung der Friedenspräsenzstärke durch den Etat
rechtlich für zulässig halte, wenn ich auch die politischen Be-
denken, welche gegen eine solche Massregel sprechen, in keiner Weise
verkenne. Diese Meinung wird auch von einer Reihe angesehener
staatsrechtlicher Schriftsteller getheilt. Entscheidend für uns ist der
Sprachgebrauch der Reichsverfassung. Diese spricht von einem Reichs-
gesetz überall da, wo es sich um einen übereinstimmenden Beschluss
von Bundesrath und Reichstag handelt; sie bezeichnet die Feststellung
des Reichshaushaltsetats im Art. 69 ausdrücklich als einen Akt der
Gesetzgebung. Die Regelung der Friedenspräsenzstärke durch den
Etat ist daher auch eine Feststellung „im Wege der Reichsgesetz-
gebung“ und den Vorschriften der Reichsverfassung wird mit einer
solchen Feststellung Genüge geleistet.
Der Berufung auf den Sprachgebrauch der Reichsverfassung tritt
der Verfasser mit einer zweifachen Deduction entgegen. Zunächst mit
einer Erörterung über das Wesen des Etats. Im Anschluss an die
herrschende Lehre entwickelt er den Unterschied von Gesetz im ma-
teriellen und Gesetz im formellen Sinne und bezeichnet die Feststellung
des Etats als einen Verwaltungsakt, der in den Formen der Ge-
setzgebung auftritt (S. 74 ff.). Die Feststellung der Friedenspräsenz-
stärke ist nun aber, so führt er weiter aus, die rechtsverbind-
liche Anordnung eines Rechtssatzes, ein Gesetz im ma-