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Ziehen wir aus dem Vorstehenden kurz die Folgerung:
Art. 62° ist anwendbar, sobald und solange die Friedens-
präsenzstärke reichsgesetzlich feststeht. Von practischer Be-
deutung könnte dies sein, sobald ein Etatsgesetz aus anderen
Gründen, als wegen Nichteinigung der gesetzgebenden Factoren
hinsichtlich der Friedenspräsenz, nicht zu Stande kommen würde;
die Reichsregierung könnte dann ihr Recht auf die in Art. 62?
festgestellten Einnahmen geltend machen !°®). Unanwendbar ist
diese Bestimmung jedoch, sobald eine Nichteinigung der gesetz-
gebenden Factoren ein die Friedenspräsenzstärke feststellendes
Reichsgesetz bei Ablauf des früheren nicht hat zu Stande kom-
men lassen, d. h. in dem von uns gesetzten Falle ist Art. 62?
unanwendbar!°?).
Der Reichsregierung würden somit durch positive Verfas-
sungsbestimmung für diesen Fall angewiesene Einnahmen fehlen ;
jedoch wäre dieselbe gewiss berechtigt, die auf dauernden Ge-
setzen beruhenden Reichseinnahmen aus Steuern, Zöllen etc. zu
erheben, auch wenn das jährliche Etatsgesetz nicht zu Stande
kommen sollte!!). Doch die bei dem Unzureichen dieser Ein-
108) Die Frage, wie diese Einnahmen sich zu den übrigen Reichs-
einnahmen verhalten würden, haben wir hier nicht zu untersuchen, da wir
ja in dem vorliegenden Falle ein Recht auf dieselben nicht anerkennen
Können.
109) Doch wenn wir auch die Anwendbarkeit des Art. 62? voraus-
setzen wollten, so stünde dem das Ausgäabebewilligungsrecht des Reichs-
tags in Art. 62°, selbstverständlich unbehindert durch Art. 62%, gegenüber.
Fricker (a. a. O. 175) bestreitet dem Reichstage die Befugniss des Befin-
dens über die Gesammtsummen; er nimmt vielmehr nur ein Recht
desselben an, diese Gesammtsummen auf die Einzelzwecke zu distribuiren.
Gegenüber den Verhandlungen, welche anlässlich der Berathung des Amen-
dements v. BENnIGsEen-ÜsEst gepflogen wurden, ist diese Ansicht unhaltbar.
Dass das volle Ausgabebewilligungsrecht im Art. 62? ausgesprochen sein
sollte, ergibt sich namentlich aus den Reden der Abg. v. Vixcke (Hagen),
LAskeEr, sowie des Grafen Bısmarck (BezoLp II, 8. 694, 697, 702).
110) Die Frage nach den Rechtsfolgen, welche das Nichtzustandekom-
men des Etatsgesetzes bedingt, baben wir hier naturgemäss nur insofern