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Angesichts dieses ganzen Thatbestandes musste auch schon
bei den französischen Juristen die Frage auftauchen: ist das noch
ein Vertrag? ist überhaupt ein Vertrag möglich, in welchem der
Staat als Obrigkeit mit der öffentlichen Gewalt erscheint? Ein
Vertreter der Machtansprüche der Civilgerichte, der General-
advokat Dessarnıns, hat es in einer sehr bemerkenswerthen Rede
ausgesprochen: il n’y a pas ä& proprement parler de contrats
administratifs parcequ’un pareil adjectif ne saurait accompagner
un pareil substantif. Er folgert daraus, dass ein Rechtsgeschäft,
welches als ein wahrer Vertrag anerkannt sei, nur ein civilrecht-
licher Vertrag sein könne. Was zur Abwehr dieses Angriffes
auf das Wort „öffentlichrechtlicher Vertrag“ vorgebracht wird,
hat wenig Ueberzeugendes. So wird in der Note zu jener Rede
bei Darvoz zugestanden: en general la puissance publique n’inter-
vient que par des actes unilateraux ; aber, heisst es dann, es gibt
doch Verwaltungsakte, wie die Beamtenernennung, die Con-
cessionen, welche n’en sont pas moins susceptibles de creer des
droits et des obligations r&eciproques et ne sauraient &tre assi-
miles & des actes unilateraux, — eine offenbare Verwechslung
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gerichte macht den Hauptunterschied zwischen dem contrat administratif
und dem censorischen Vertrage aus. Im Uebrigen ist die Aehnlichkeit
auch in den minder wesentlichen Einzelheiten eine sehr grosse, nament-
lich bei Verdingungen öffentlicher Arbeiten und Lieferungen. Das cahier
des charges entspricht der lex censoria; für jeden grösseren Dienstzweig ist
dafür ein stehendes Formular in Gebrauch: es ist tralaticisch. Wirksam
wird es durch die adjudication, die addictio. Oeffentliche Versteigerung
ist die ordentliche Form. Der adjudicataire hat Sicherheit zu leisten,
regelmässig durch Pfandbestellung, cautionnement. Durch einseitigen Akt
der Behörde erfolgt die Versilberung des Pfandes, praedium venditio.
Die Billigung der Leistungen, reception — das probare, cognoscere — steht
in der Entscheidung der Behörde nach freiem Ermessen, arbitratu; bei
Lieferungsverträgen lässt das Lastenheft nicht einmal den Rechtsweg an
das Verwaltungsgericht dagegen offen. Auch die Vergebung der unvollen-
deten Arbeiten an einen neuen Unternehmer durch öffentliche Versteige-
rung (folle enchere) zeigt eine Spur von der Rücksichtslosigkeit, mit welcher
das römische Recht hier verfährt.