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gegenüber steht, verlangt das und gibt zugleich die genauere Natur
des Aktes, der das Verhältniss begründet. Der Staat ist nämlich
berechtigt, von seinen Bürgern alle persönlichen Dienste zu ver-
langen, welche zur Verfolgung der Staatszwecke nöthig sind, also
nicht bloss allgemeine gewöhnliche Dienste, sondern auch besondere,
welche eigene Fähigkeiten voraussetzen und den ganzen Mann
erfordern. Für die letzteren werden die geeigneten Personen aus-
gewählt; das ist die Ernennung zum Amt. Indem der Ernannte
seine Pflicht anerkennt, würde nach Seurrerr doch noch eine
Art Anstellungsvertrag zu Stande kommen. Gönner aber lässt
diesen Anerkennungsakt ganz fallen; nachdem die Uebernahme
des Amtes eine öffentliche Pflicht ist, kommt es auf die Aner-
kennung nicht weiter an. Die einseitige Auferlegung des Amtes
ist Alles, von Vertragsmässigem und Privatrechtlichem jede Spur
beseitigt.
Diese Theorie behielt in der Rechtswissenschaft auf lange
Zeit hinaus die Oberhand. K. S. ZacHArıae, Herrter, Daer-
MANN, PERTHES halten fest an jener Grundlage der allgemeinen
Unterthanenpflicht zur Uebernahme von Staatsämtern.
Man möchte vielleicht heute fragen: wie war es möglich,
dass ein so durch und durch unwahrer Gedanke Aufnahme fand
und dass man so lange gebraucht hat, um davon loszukommen?
Der Staat kann Niemanden etwas befehlen, Niemanden eine Last
auferlegen ohne Gesetz. Also hat man nur zu sehen, ob ein
Gesetz besteht, welches die Unterthanen zum Eintrittin den Staats-
dienst verpflichtet und da diess offenbar nirgends der Fall ist,
so ist die ganze Lehrmeinung ohne Boden und unhaltbar 3°).
Um derselben gerecht zu werden, muss man sie in ihrem
eigenen geistigen Zusammenhange erfassen. Sie ist nicht gewachsen
aufdem Boden des neuzeitlichen Verfassungsstaates mit der formellen
Ausscheidung des durch Mitwirkung einer Volksvertretung aus-
33) Rönne IIT, 8. 407, Anm. 2.