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seine Intervention in Angelegenheiten verlangt werde, deren Regelung
früher dem Gutfinden der Betheiligten überlassen worden sei. Der
Schwache fordere vom Staate Schutz gegen den Stärkeren, gesetzliche
Festsetzung der Löhne und der Arbeitszeit; ja es werden sogar Be-
gehren laut, dass in den Händen des Staates nicht nur das Grund-
eigenthum sondern das Capital überhaupt vereinigt werden solle. Bei
dem steten Wachsthume nun der Masse der Unzufriedenen und ihrer
Macht in Folge des allgemeinen Stimmrechtes, sowie ihrer offenkun-
digen Tendenz ihre Ansichten der civilisirten Welt aufzudrängen,
stehen die conservativen Klassen in fortwährender Besorgniss einem
Absolutismus zu verfallen, der tyrannischer und unvernünftiger sei
als jeder frühere, dem Absolutismus der demokratischen Majorität.
Dieser Tendenz gegenüber hält Tırpemann an dem Standpunkt des Rechtes
fest und sucht durch eine ins Einzelne gehende Untersuchung der
verfassungsgemäss der Polizeigewalt des Staates gesetzten Schranken
den Nachweis zu leisten, dass unter den geschriebenen Verfassungen
der vereinigten Staaten der demokratische Absolutismus so lange eine
Unmöglichkeit sei, als die Achtung des {Volkes vor diesen Verfas-
sungen und den in ihnen enthaltenen Beschränkungen der Regierungs-
gewalt, unterstützt werde durch das Einschreiten der Gerichte gegen
Ueberschreitungen. Die wesentlichen Rechte einer Minderheit seien
gesetzlich keiner Controlle oder Einmischung von Seiten der Mehr-
heit unterworfen, ausser insoferne eine solche nothwendig sei, da-
mit auch Andere in der Ausübung ihrer Rechte nicht gehindert
werden, und es sei die Polizeigewalt des Staates beschränkt auf die
gewissenhafte Anwendung des Grundsatzes sic utere tuo ut alienum
non laedas. Unter Police Power versteht daher Tieprmann keineswegs
das Recht und die Pflicht des Staates für die öffentliche Wohlfahrt
und Sicherheit zu sorgen, sondern lediglich die Befugniss Personen
und Sachen Beschränkungen aufzuerlegen, damit der obige Grundsatz
allgemeine Anwendung finde. Die Police Power der Regierung hat
daher zum Gegenstand den Schutz des Lebens, des Körpers, der Ge-
sundheit der Personen, ferner ihr Wohlbefinden und den Schutz ihres
Eigenthums innerhalb des Staatsgebietes, und sie erstreckt sich nicht
über diese Grenze hinaus. Ein amerikanisches Urtheil erklärt es
geradezu als die Aufgabe der Gesetzgebung: to define the mode and
manner in which everyone may use his own as not to injure others
(Thorpe v. Rutland). Das Recht, solche Vorschriften zu erlassen,
wodurch Personen oder Sachen Beschränkungen oder Lasten auferlegt